Der Ethnologe Hans-Jürgen Heinrichs hat einen schönen Essay über Fremdheit geschrieben.
23. Juni 2019, 14:54 UhrEditiert am 23. Juni 2019, 14:54 Uhr
Teheran 1971: Per Zufall war Hans-Jürgen Heinrichs in eine
Begräbnisgesellschaft geraten, in einen Kreis alter Frauen, die sich ekstatischen
Klagegesängen hingaben und dabei Teegläser und Zigaretten zirkulieren ließen, die der
Ethnologe höflich ablehnte. Als Fremdem schien ihm Zurückhaltung geboten. Die wohlmeinende
Geste wurde ihm aber als Affront ausgelegt: als Überheblichkeit dem Ritual gegenüber und
Missachtung der Gastfreundschaft. Jahre später in Mali verhielt er sich forscher und machte es
wieder falsch. Bei einem Fest mit bunt geschminkten Einheimischen “tanzten die Männer werbend
auf die Frauen zu, die so taten, als schauten sie gleichgültig weg, in Wahrheit aber jeden
Tänzer genau taxierten. Ich missverstand die Blicke, die mir die Männer und auch die Frauen
zuwarfen, als Aufforderung mitzutanzen, als Gesten der Verführung”, die jedoch nur
distanzierte Neugierde signalisierten. “Als ich auf die Frauen zutanzte, zerstörte ich alles:
die Freundschaft mit den Männern und die schüchterne Leichtigkeit mit den Frauen.”
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