/Familie: “Akzeptieren Sie die Meinung Ihres Kindes”

Familie: “Akzeptieren Sie die Meinung Ihres Kindes”

Minderjährige trinken Alkohol, rauchen oder kiffen. Sie schlucken auf Partys Ecstasy oder andere Substanzen. Was sich tun lässt, wenn das eigene Kind Drogen nimmt, erklärt der Suchtforscher und Psychotherapeut Jens Reimer in unserem Schwerpunkt zu Drogen im Alltag.

ZEIT ONLINE: Herr Reimer, wie viele Mädchen und Jungen in Deutschland nehmen Drogen?

Jens Reimer: Das lässt sich nur ungefähr beantworten, da Umfragen es nur näherungsweise abbilden. Laut der aktuellen
Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben 7,5 Prozent der 12- bis 17-Jährigen in den vergangenen 12
Monaten illegale Drogen konsumiert (Orth,
2016, PDF
). Meistens war das Cannabis, nur 1,4 Prozent der Befragten nahmen Ecstasy, LSD, Amphetamine oder Kokain. Cannabis ist auch
die illegale Droge, die am meisten Kinder unter 15 Jahren ins
Krankenhaus bringt: 2017 waren es bundesweit mehr als 400. Noch häufiger
landen Minderjährige im Krankenhaus, wenn sie zu viel Alkohol getrunken
haben. Genauso
ist es übrigens unter Erwachsenen (DHS
Jahrbuch Sucht 2019
).

Jens Reimer ist Vorstand des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg und Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Psychosoziale Medizin der Gesundheit Nord, Klinikverbund Bremen. Er schrieb das Nachwort für das Buch "Tagebuch einer SehnSucht" von Ina Mildert, deren Tochter 2007 an den Folgen von Drogen starb.

Jens Reimer ist Vorstand des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg und Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Psychosoziale Medizin der Gesundheit Nord, Klinikverbund Bremen. Er schrieb das Nachwort für das Buch “Tagebuch einer SehnSucht” von Ina Milert, deren Tochter 2007 an den Folgen von Drogen starb.
© privat

ZEIT ONLINE: Schlimmstenfalls sterben Menschen an den Folgen ihres Konsums. Unter den 14- bis 17-Jährigen waren es 2017 zwei, das Jahr davor fünf und 2015 sieben (Bundes­lage­bild
Rausch­gift 2017
). So etwas gilt es unbedingt zu verhindern. Was mache ich, wenn ich merke, dass mein Kind Drogen nimmt?

Reimer: Sprechen Sie mit Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter. Das ist entscheidend. Aber überlegen Sie
davor, was Sie erreichen möchten: Wollen Sie direkt Ihre
Vorstellung durchsetzen? Oder erst einmal Verständnis entgegenbringen? In einem ersten Gespräch sollten Sie zuhören und die Meinung Ihres Kindes akzeptieren. Es ist wichtig, das Gespräch offen zu führen, denn nur dann können beide
Gesprächspartner etwas Neues erfahren.

 ZEIT ONLINE: Was genau sollten Mütter und Väter dabei beachten?

Reimer: Sie sollten sich vor dem Gespräch informieren, um sinnvoll über Drogen sprechen zu können. Es hilft nicht, Drogen pauschal zu verteufeln. Der britische Drogenforscher David Nutt gibt dazu gute Hinweise (Anm. d. Red.: siehe Infoboxunten). Er sagt unter anderem, dass alle Drogen
schädlich, aber nicht alle gleich schädlich sind. Alkohol und Tabak töten von allen
Drogen die meisten Menschen, obwohl sie für Erwachsene legal verfügbar sind. Allein in Deutschland sterben jährlich mehr als 120.000 Menschen an den Folgen des
Rauchens
.

ZEIT ONLINE: Helfen Verbote?

Reimer: Wenn jemand etwas Illegales nimmt, nützt es nicht,
nur darauf zu beharren, dass es verboten ist. Bei dem eigenen Sohn oder der Tochter ist das grundsätzlich schwierig. Zudem kommt es immer auf den Fall an:
Wenn jemand zweimal im Monat auf Partys kifft, ist das
unproblematischer, als wenn es um härtere Drogen geht. Nimmt das Kind Kokain oder Heroin, müssen Eltern stärker eingreifen und sollten sich professionelle Hilfe holen. Als Erziehungsberechtigte haben sie die Verantwortung.

ZEIT ONLINE: Es geht also nicht um Verbote, sondern um gemeinsam festgelegte Regeln?

Reimer: Ja. Versuchen Sie, einen Kompromiss zu finden. Je nach Droge, die Ihr Kind konsumiert, können Sie sich vielleicht darauf einigen, dass an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten konsumiert beziehungsweise nicht konsumiert werden darf. Verhalten ändert sich so schnell nicht, aber ein offenes Gespräch ist ein guter Ausgangspunkt.

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