1. Tag
Wir beginnen unseren Besuch im “schönsten Wohnzimmer der Welt”, dem Markusplatz. In den frühen Morgenstunden, wenn die Sonne langsam die Mosaiken am Markusdom zum Funkeln bringt, ist es hier menschenleer. Auf der Piazzetta vor dem Dogenpalast, zwischen den beiden Säulen von San Marco und San Todaro, schaut man auf den bacino, das Becken, in dem Canal Grande und Giudecca-Kanal zusammenfließen. Die Museen öffnen erst um halb neun, daher machen wir es wie die Venezianer und gehen zum Rialto-Markt, der eine Stunde früher öffnet. Von hier aus spazieren wir im Santa-Croce-Viertel zum Campo San Giacomo dell’Orio und sind mitten im venezianischen Leben. Eltern bringen ihre Kinder zur Schule, an der Bar stehen Pensionäre beim caffè auf ein Schwätzchen, und der Bäcker trinkt nach der Nachtschicht seinen ombra, einen Einerwein.
Wir laufen weiter zum San-Polo-Viertel, wo die Frarikirche schon um acht zur Frühmesse öffnet. Die Bettelordenskirche bietet einen einzigartigen Überblick über die venezianische Kunstgeschichte, und auch wenn Tizians Altargemälde “Mariä Himmelfahrt” gerade in situ restauriert wird, lohnt seine jüngst restaurierte Pesaro-Madonna unbedingt einen Besuch. In unmittelbarer Nähe liegt die Scuola Grande di San Rocco, die Besuchern ab halb zehn offensteht. Zum 500. Geburtsjahr von Jacopo Tintoretto wurden die über sechzig Gemälde des Malers, die sich in den Sälen der Laienbruderschaft befinden, mit einem modernen Beleuchtungssystem ausgestattet, was eine neue Seherfahrung schafft. Die nahegelegene Fondazione Prada setzt derzeit dem 2017 verstorbenen Künstler und Arte-Povera-Mitbegründer Jannis Kounellis mit einer großen Retrospektive ein Denkmal.
Wir gehen mittags an den Campo San Stin, wo die Bar La Bottiglia mit regionalen Weinen und Bioprodukten lockt. Nachmittags setzen wir mit der Traghetto-Gondel von San Tomà zu Sant’Angelo über. Vom Boot aus hat man einen Blick über den Canal Grande bis zur Rialtobrücke! Im Palazzo Fortuny wird zur Biennale die Sammlung und Familiengeschichte von Mariano Fortuny y Madrazo, einem aus Spanien stammenden Maler, Bildhauer und Modeschöpfer, präsentiert. Seine Witwe hatte das Wohnhaus der Stadt vermacht, die viele von Fortuny gestaltete Wandbespannungen, Lampen, Gemälde und Skulpturen erhalten hat.
Am Campo San Fantin mit dem berühmten Opernhaus La Fenice schauen wir im Ateneo Veneto den ersten Teil der Ausstellung “Psalm” des Schriftstellers und Keramikers Edmund de Waal an, der Porzellangefäße mit einem Bücherpavillon zum Thema Exil zusammenbringt. Über die Accademia-Brücke geht es als letzte Station für heute zur Peggy Guggenheim Collection. Seit Kurzem leitet Karole Vail, die Enkelin der exzentrischen Mäzenin, das Haus.
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