Selten trainiert Torhüterin Almuth Schult vor solch einer imposanten Kulisse wie in diesen Tagen. Vom Sportkomplex Paul Bourgeat im 6000-Einwohner-Örtchen Gières aus bietet sich ein unverstellter Blick auf drei Gebirgsmassive: links das schroffe Grande Chartreuse, rechts der mit Schnee bedeckte Gebirgszug Belledonne und im Hintergrund noch der Gebirgsstock Vercors, ganz im Westen der französischen Alpen. Es ist der passende Hintergrund für das deutsche Team auf seiner Tour de France. Mit dem Achtelfinale am Samstag gegen Nigeria im nahe gelegenen Grenoble (17.30 Uhr/ZDF) beginnen die Bergetappen.
Die deutsche Torhüterin sieht es als “Leistungsprüfung” und warnt: “Wenn wir da verlieren, können wir uns von den drei Gruppenspielen auch nichts kaufen.” Die Vorrunde war trotz der drei Siege eher durchwachsen, doch Schult ist sich sicher: “Andere Mannschaften haben Angst vor uns.” Doch stimmt das?
Alles zu Null?
Wenn, dann gilt das nur für sie, den Ruhepol. Die Kolleginnen vor ihr wirken verunsichert. “Es darf uns nicht passieren, dass wir leichtfertig solche Bälle verdaddeln. Das kann im Achtelfinale, wenn es nicht 4:0 für uns steht, sehr hart bestraft werden”, war einer ihrer Sätze nach der Vorrunde.
Die Doublegewinnerin vom VfL Wolfsburg ist bei dieser WM noch ohne Gegentor, was ihre Trainerin, Martina Voss-Tecklenburg, sehr zufrieden macht: “Almuth ist gut ins Turnier gestartet, besser als wir das erwartet hatten. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie jedes Spiel mit einer Null rausgehen würde.” So wie Nadine Angerer 2007, als sie Deutschland mit sechs Spielen ohne Gegentor den Titel festhielt. Schult findet alle Vergleiche mit der WM 2007 aber unangebracht: “Mit dem Finale wären es noch vier Spiele. Es wird nicht mehr möglich sein – daran glaube ich nicht. In so einem Turnier mit Weltklassegegnern ohne Gegentor zu bleiben, ist schier unmöglich.” Aber was hat Angerer kürzlich an das aktuelle Team geschrieben? “Ihr habt eine super Trainerin, ihr seid eine mega Mannschaft – und ihr habt die beste Torhüterin.”
Wie tritt sie auf?
Schult nennt Oliver Kahn zwar nicht als Vorbild, doch er hat sie inspiriert. “Die WM 2002 war die erste, die ich intensiv verfolgt habe. Das motiviert einen. Und er konnte eine Mannschaft wachrütteln.” Als sie im Frühjahr das Gefühl hatte, im Frauenfußball sei es im WM-Jahr zu behäbig und still, preschte sie vor. Angeblich war ihr Vorstoß mit dem Mannschaftsrat abgesprochen, als sie in der FAZ die fehlende Wertschätzung des Frauenfußballs in Vereinen und Verbänden kritisierte. “Oft werden wir Frauen einfach vergessen. Wir müssen in Deutschland vielleicht auch noch mehr Blockaden im Kopf überwinden.” Selbst DFB-Mitarbeiter hätten Berührungsängste. “Wie sollen wir denn draußen Vorurteile abbauen, wenn wir im eigenen Verband damit zu kämpfen haben?”, fragte sie. Nicht jeder im DFB fand den Rüffel gut, zumal manche Vorwürfe zu entkräften waren. Aber sie hatte sich außen und innen Gehör verschafft.
“Einen großartigen Wert außerhalb des Platzes”, sieht Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in ihr. “Sie ist in den Analysen immer die Erste, die etwas sagt, die den Mitspielerinnen hilft. Ich bin sehr froh, dass die Almuth bei uns im Tor steht.” Über den HSV, Magdeburg und Bad Neuenahr kam sie 2013 nach Wolfsburg und gewann seitdem schon alle großen Titel, auch die Champions League 2014. Die 62-fache Nationaltorhüterin spielt bereits ihre dritte WM: 2015 in Kanada bemerkte sie als Ersatztorhüterin, wie die Generation um Simone Laudehr, Saskia Bartusiak oder Annike Krahn allmählich den Anschluss an die Weltspitze verlor, 2011 in Deutschland erlebte sie als dritte Torfrau, wie sehr ein Hype schaden kann. Sie war damals die Einzige, die sich in Düsseldorf, Berlin oder Frankfurt unerkannt aus dem Hotel bewegen konnte – oft genug war sie der Schutzschild für Birgit Prinz.
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