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Mietendeckel: Man kann nicht nicht wohnen

Ab heute dürfen in Berlin die Mieten fünf Jahre lang nicht mehr steigen. Was die Landesregierung da beschlossen hat, ist ein brachialer und in Deutschland einzigartiger Eingriff in den Wohnungsmarkt, der notwendig ist und richtig.

Extrem ist nicht allein der neue Mietendeckel, extrem sind vor allem die Fakten, die diese Politik rechtfertigen. Die Menschen in Berlin verdienen seit langem viel zu wenig, um mit den Mietsteigerungen in ihrer Stadt mitzuhalten. Zeichnet man eine Linie für die Entwicklung der Mietausgaben und eine für die der Einkommen, klaffen sie immer weiter auseinander: unten die Gehälter, oben die Wohnkosten.

Das verfügbare Einkommen pro Kopf ist in Berlin lange fast nicht gestiegen, lediglich um 1,3 Prozent von 2000 bis 2016. Demgegenüber stehen die Mietkosten. Sie sind von 2007 bis heute berlinweit um 83 Prozent in die Höhe geschossen. In einem sozial schwachen Stadtteil wie Neukölln sind sie sogar um fast 150 Prozent gestiegen. Wie sollen Menschen gerade in Gegenden, in denen die Gehälter besonders niedrig sind, das bezahlen? Hinzu kommt, dass trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Stadt der Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung in ebenjenem Neukölln im selben Zeitraum beachtlich gestiegen ist: von 17 auf fast 27 Prozent.

Längst gilt vor allem für die Innenstadtviertel eben nicht mehr die Faustformel, dass Mieterinnen und Mieter ungefähr ein Drittel ihres Einkommens für das Wohnen ausgegeben sollen. In weiten Teilen der Stadt müssen sie fast die Hälfte ihres Gehalts für die Miete zahlen. Das kann auf Dauer nicht aufgehen, ohne den sozialen Frieden in Deutschlands Hauptstadt zu gefährden.

Der Frust der Millionen

Die Berlinerinnen und Berliner sind längst auf den Barrikaden. Das Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnkonzerne hat in nur wenigen Wochen dreimal so viele Unterschriften eingesammelt wie benötigt. Zehntausende demonstrieren seit Monaten immer wieder gegen den Mietenwahnsinn auf den Straßen der Stadt.

Auf diesen Frust der Millionen musste der rot-rot-grüne Senat der Stadt reagieren. Der viel kritisierte SPD-Bürgermeister Michael Müller beweist jetzt, dass Politik auch kurzfristig handlungsfähig ist und gegen den Widerstand der Vermieterlobby ein Gesetz auf den Weg bringen kann, das ab sofort Linderung verspricht. Klar aber ist: Der Mietendeckel kann nur eine Notmaßnahme sein. Er soll dort wirken, wo die viel zu zögerliche Mietpreisbremse der Bundesregierung jahrelang versagt hat. Und wo die Stadt Berlin selbst viel zu lange untätig war. Erst seit ein paar Jahren forciert sie den kommunalen Wohnungsbau wieder stärker. 

Dabei hat sich längst gezeigt, dass allein der Markt die Wohnungsnot in den deutschen Städten nicht lösen kann. Ja, die Nachfrage ist viel größer als das Angebot und ja, es muss noch viel, viel mehr gebaut werden. Aber richtig ist auch, dass jeder Mensch ein Dach über dem Kopf braucht und mit dem vorhandenen Angebot klarkommen muss. Man kann nicht nicht wohnen. Wer in der Stadt arbeitet, seinen Lebensmittelpunkt dort hat, dem bleibt keine Wahl: Er muss die hohen Mieten zahlen, ob im Zentrum oder den inzwischen fast genauso teuren Randgebieten. Die Städte werden als Wirtschaftsfaktoren immer wichtiger. Wenn hier auf die Schnelle nicht Zehntausende Wohnungen entstehen können, dann muss der Staat zu Notmaßnahmen wie einem Mietendeckel greifen können. Wohnen ist eben kein Gut, das den üblichen Gesetzen des Marktes folgt.

Es gibt kein Recht auf Rendite

Natürlich fürchten die Vermieterinnen und Vermieter jetzt um ihre Einkünfte. Aber niemand erwirbt mit dem Kauf einer Immobilie das Anrecht auf eine wie auch immer geartete Rendite. Ein Wohnhaus kann auch zum Minusgeschäft werden, wenn irgendwann in der Nähe ein Flughafen oder eine Umgehungsstraße gebaut werden. Mit Sozialismus, von dem viele Kritiker des Mietendeckels nun faseln, hat das nichts zu tun. Der würde erst in Berlins Politik einziehen, wenn die Bürgerinnen und Bürger aus lauter Verzweiflung tatsächlich durchsetzen, dass die Wohnkonzerne enteignet werden. Welche Wirkung solche Enteignungen auf die Mieten in der ganzen Stadt hätten, ist noch völlig ungewiss. Der Mietendeckel dagegen ist direkt spürbar. Damit greift der Senat der Volksinitiative zuvor und nimmt ihr das wichtigste Argument. Auch deshalb sind die Gesetzespläne richtig.

Und was ist mit den Investoren, die womöglich nicht mehr in Berlin bauen wollen, weil es dort bald zu wenig zu verdienen gibt? Für sie gilt der Mietendeckel nicht. Neubauten sind von der Regelung ausgenommen. Auch für die kleinen privaten Vermieter mit zwei, drei Wohnungen, die nun die Gekniffenen sein könnten, hat die Landesregierung eine Härtefallregel vorgesehen. Sie machen auch nur fünf Prozent der Eigentümer aus und ihre Gewinne sind überschaubar. Gerade in Berlin trifft das Gesetz damit die Richtigen: Profitiert von dem Mietenwahnsinn haben bisher jene am meisten, denen große Immobilienbestände gehören oder die an den Wohnunternehmen beteiligt sind. Vonovia und Deutsche Wohnen zum Beispiel, die beiden größten Wohnungskonzerne in Berlin, haben zuletzt hohe Gewinne ausgewiesen – auch wegen der steigenden Mieten.

Deutschland streitet seit einiger Zeit über soziale Ungleichheit und die Verteilung der Vermögen. Es ist längst erwiesen, dass gerade der Immobilienmarkt die soziale Ungleichheit verschärft. Wer hohe Mieten zahlt, kann kaum sparen und Vermögen bilden. Zugespitzt formuliert: Durch den Immobilienboom werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Wer diese Entwicklung aufhalten will, muss entschlossen handeln. Für Berlin ist der Mietendeckel das richtige Instrument zur richtigen Zeit. Andere Bundesländer sollten nun genau verfolgen, wie die rechtliche Auseinandersetzung darum ausgeht. Hat das Gesetz Bestand, könnte es zum Vorbild für andere werden.

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