/Jürgen Habermas: Eine Erscheinung

Jürgen Habermas: Eine Erscheinung

Wie kann man bei jemandem, den das Normative so verpflichtet, das Ungewöhnliche entdecken? Was ist es, dass einer, der kein Liebhaber des Begriffs “Kommunikation” und der daraus folgenden politischen Lehre ist, den Erfinder dieser Lehre geistig so attraktiv findet?

Ein Paradox ist zu ergründen: Es sind der Habermassche Stil – nicht einfach sein Argument – und der Ausdruck seiner intellektuellen Erscheinung, die das erklären. Nicht das viel diskutierte politische Engagement, nicht der lebenslange Eingriff in die politische Debatte des mit der nationalsozialistischen Vergangenheit noch immer konfrontierten Landes entdeckt diesen Intellektuellen in seiner Ungewöhnlichkeit. “Öffentliche Intellektuelle”, wie man sie nennt: Davon gibt es eine ganze Reihe, und die sind nicht immer ungewöhnlich, eher das Gegenteil.

Die spezifische Form der Ungewöhnlichkeit kann sogar – welch bedenkliches Wort! – zum ästhetischen Phänomen zugespitzt werden. Wie? Der schärfste Kritiker des Ästhetikers Nietzsche und seiner französischen Nachfolger soll ein ästhetisches Phänomen sein? So ist es. Das fängt schon buchstäblich damit an, dass er wie ein Künstler aussieht. Er könnte ein Maler, ein Dichter sein, eine Erscheinung, von der man Unerwartetes erwartet, die überrascht. Dem entspricht eine bei seinen philosophischen Zeitgenossen – sei es Niklas Luhmann oder Dieter Henrich – unvorstellbare Eigenschaft: die Neigung zu metaphorisch ausgestatteten Zornausbrüchen, zur explosiven, blumigen Schmährede, wenn es sich denn so ergibt – öffentlich, aber auch sehr gerne privat. Impulsivität! Nicht bloß, weil er ein Rheinländer ist.

Dabei kommt die sowohl psychologische wie diagnostische Fähigkeit zum Vorschein, die den ästhetischen Sinn erklärt: Habermas’ Kritik an Nietzsches Kunstmythologie, der das Emanzipatorische verloren gehe, und umgekehrt seine lobende Auffassung von Baudelaires Verständnis der zeitgenössischen Kunst als einer historischen entpuppen sich als ein geradezu intuitiver Sinn für die Kunst. Ja, die Kunst selbst ist es, die ihn so sehr fesselt!

Das so zu sehen dient vielleicht einem subjektivistischen-selbstreferenziellen Impuls. Aber seit unseren Gesprächen über den Surrealismus verließ mich die Gewissheit nicht, einen “plötzlichen” Denker vor mir zu haben. Was wäre ein stärkerer Ausdruck des Ungewöhnlichen in den häufig biederen Geisteswissenschaften?

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