Im Sommer 2018 war Phillip Lee das erste Regierungsmitglied, das Theresa Mays Kabinett aus Protest verließ. Seitdem kämpft der einflussreiche Abgeordnete für einen weniger radikalen Brexit-Kurs in der Konservativen Partei. Insider hielten ihn für einen möglichen Nachfolger von Theresa May. Doch Lee, der neben seinem Politikerjob noch als Arzt arbeitet, trat beim gerade laufenden Rennen um die Neubesetzung des Parteivorsitz der Tories nicht an. Im März, kurz bevor May ein drittes Mal im britischen Parlament dabei scheiterte, eine Mehrheit für den von ihr ausgehandelten Brexit-Vertrag zu bekommen, trafen wir Phillip Lee für ein Gespräch in London. Dieses Interview führt der Abgeordnete per Telefon.
ZEIT ONLINE: Herr Lee, warum haben Sie sich getäuscht?
Phillip Lee: Sie meinen, meine Aussage während unseres Treffens im März? Ich dachte damals wirklich, dass Theresa May nicht zurücktreten wird. Ich dachte, sie nutzt ihre einzige Chance und gibt ihren ausgehandelten Brexit-Deal der Öffentlichkeit zur Abstimmung. Hätte sie sich das getraut, würde meine Partei jetzt wohl keinen neuen Vorsitzenden oder eine neue Vorsitzende suchen. Ich stehe zu meiner Analyse. Theresa May wäre noch im Amt, wenn sie die britischen Bürger miteinbezogen hätte.
ZEIT ONLINE: Sie wollen ein zweites Referendum über den Brexit?
Lee: Ich meine eine Volksabstimmung über den von May über viele Monate ausgehandelten Brexit-Deal. Ob der vom Vereinten Königreich angenommen wird oder nicht, sollten die Bürger entscheiden.
ZEIT ONLINE: Die Bilder von Theresa Mays Rückzug waren emotional. Sie kennen sie privat, haben zusammen ihre eigene Hochzeit gefeiert.
Lee: Es ist hart, wenn man mitansehen muss, wie ein Freund durch so etwas gehen muss. Wenn jemand öffentlich so leidet, ist das nicht schön. Politik ist ein hartes Geschäft.
ZEIT ONLINE: Was passiert nun mit dem Brexit?
Lee: Trotz Mays Rücktritts kann es so kommen, wie ich vermutet habe: Entweder werden wir jetzt einen Brexit ohne rechtliche Absicherung bekommen. Oder es gibt doch noch die angesprochene Volksbefragung. Für diesen Prozess ist es egal, wer der neue Premier wird.
ZEIT ONLINE: Bislang hat Boris Johnson die besten Chancen, Ihr neuer Parteivorsitzender und somit neuer Premierminister zu werden. Sie gelten als Anti-Boris-Johnson. Was würden Sie ihn fragen, wenn Sie ihn heute Abend, sagen wir, zufällig privat in der Sauna treffen würden?
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