/“Tatort” Schweiz: Es gibt keine Geduld

“Tatort” Schweiz: Es gibt keine Geduld

Der Schweizer Tatort: Ausgezählt (SRF-Redaktion:
Lilian Räber) wäre in dieser Form vor Jahren noch nicht möglich gewesen. Er
braucht nämlich eine Kamera, die permanent Bilder der Überwachung von einer
eingesperrten Frau sendet. Weshalb sich die Polizei auf der Suche nach dem
Verlies diese Bilder nicht nur anschauen, sondern auch einen Countdown
drauflegen kann, der spannungsverschärfend anzeigt, wie viel Zeit verbleibt,
ehe die Frau verdursten wird.


Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über “Tatort” und “Polizeiruf 110”. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne “Der Obduktionsbericht”.
© Daniel Seiffert

So erzählt dieser Tatort nebenher etwas von der
Vermessung des Menschen.
Was er eigentlich erzählen will: eine Geschichte im Doping-gepimpten
Boxerinnenmilieu (Buch: Urs Bühler, Idee: Michael Herzig, Regie:
Katalin Gödrös). Martina Oberholzer (Tabea Buser) schlägt zu Beginn ihre
Gegnerin nicht nur k. o., sondern tot – diese erleidet einen Herzinfarkt, weil sie wie die Oberholzerin mit verbotenen Substanzen gearbeitet hatte.

Der Oberholzerin gibt das zu denken, sie will Schluss machen
und auspacken, weshalb sie – als Cash Cow ihrer
Förderer – ins Verlies eingesperrt wird vom zwielichtigen Brügger (Urs Humbel), dem Handlanger der im
Zentralgefängnis einsitzenden Box-Doping-Fitnessgröße Pius Küng (Pit-Arne Pietz). Kurz darauf ist Brügger tot, und als Mörder gibt sich der
Oberholzer-Heinz (Peter Jecklin) zu erkennen, Onkel der Oberholzerin und als
Polizist einst Vorgesetzter von Liz “Ritschi” Ritschard (Delia Mayer).

Der Oberholzer-Heinz bietet sich an, ins Gefängnis vom Küng
verlegt zu werden, um von diesem zu erfahren, wo die Oberholzerin gefangen
gehalten wird. Der Wunsch wird ihm gewährt – und zwar am Apparat vorbei, den
Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) repräsentiert.

Dieser Erzählstrang entfaltet sich etwas langatmig, und wird erst interessant, als Flücki Flückiger (Stefan Gubser), der der
verdeckten Operation skeptisch gegenübersteht, einmal beginnt, nach
Alternativen zur Verliesortung zu suchen. Die Idee, straßenweise den Strom für
Sekunden abzuschalten, um zu gucken, wann die Liveübertragung unterbrochen
wird, entfaltet dabei unmittelbar Charme.

Natürlich kriegt es der Tatort mit seinem
überschaubaren Budget nicht hin, die kurzzeitige Verdunkelung ganzer
Stadtteile auch im Bild zu belegen. Aber so stellt man sich Ermittlung doch
vor, wenn schon der Countdown läuft – dass nach der Kavallerie gerufen, alles
Mögliche versucht wird, um die eingesperrte Oberholzerin zu retten. Dazu gehört
auch der “Ritschi”-Nachbar, der irgendwann angeschleppt wird und
durchs bloße Lesen des riesigen Bildes (Warum brauchte es zuvor eigentlich den
Monster-Bildschirm?) in der Lage ist, die Bauzeit des Bunkers zu terminieren.

Die meisten Tatort-Filme hätten sich bei dieser
Ausgangssituation vermutlich auf das “Duell” zwischen Küng und dem
Oberholzer-Heinz im Gefängnis konzentriert. Hier befreien die hinzukommenden
Ermittlungsversuche den eingelochten Polizisten aus seiner Retterrolle – zumal
der eh in eigenem Auftrag unterwegs ist und Küng aus Rache umbringen will.

Der Oberholzer-Heinz ist letztlich nur dazu da, das korrupte
System im Gefängnis sichtbar zu machen, das der Wärter Schüpbach (Philippe Graber) unterhält, weil er damit zusätzlich etwas verdienen kann. Schüpbachs
Wissen ist ein Puzzleteil, das Flücki und “Ritschi” den Fall lösen
lässt. Die ganze Ermittlungsarbeit hätte sich sicherlich auch noch konsequenter
und präziser darstellen lassen – dass sie überhaupt so weit aufgefächert wird,
ist allerdings schon bemerkenswert.

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