Man müsste mal wieder mehr von Jesus reden. Das ist das Mantra, das
konservative Theologen heute am liebsten anstimmen, wann immer das Gespräch auf die stetig
sinkende Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland kommt. Sie sagen auch gern dazu, dass “die
linken Pfarrer” mit ihren Politthemen die Kirchen leer gepredigt hätten. – Vielleicht ist ja
sogar was dran. Falsch kann jedenfalls nicht sein, von Jesus zu reden. Nur wie? Das sagen die
Beschwerdeführer nicht. Sie tun, als sei das Wie schon immer unfehlbar klar gewesen. Ist es
aber nicht. Das kann jeder bestätigen, der sich sonntags noch zum Gottesdienst aufrafft: Egal
wo, es ist stets und ausführlich und mit höchst unterschiedlichem Publikumserfolg von Jesus
die Rede.
Jesusverleugner sind also nicht schuld, wenn die Leute dem Gottesdienst fernbleiben. Liegt es an der leider noch immer gebräuchlichen Unzeit 10 Uhr? Oder an der Art, vom Glauben zu reden? Gar an der Art zu glauben? Vielleicht kommt man den Gründen auf die Spur, wenn man auf die schaut, die sonntags nicht mehr gutbürgerlich in der Kirche sitzen.
Zum Beispiel Rezo. Der Pfarrerssohn hat dem Jugendmagazin jetzt.de gesagt: “Ich habe die christlichen Werte sehr verinnerlicht.” Um dann jedoch die Einschränkung zu machen: “Nicht vom Glauben her, aber die Werte sind tief verankert.” Nicht vom Glauben her, was soll das heißen? Dass offenbar auch Rezo zur wachsenden Zahl jener Jungen im Westen gehört, deren Verhältnis zum Christentum – nun, sagen wir: indifferent ist. Schon vor zehn Jahren wusste der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung, dass fast die Hälfte der Kirchenmitglieder unter 30 die Frage, ob Gott existiere, irrelevant finden. Kirchenmitglieder! Darüber wurde abendlanduntergangsmäßig lamentiert. Aber ein Pfarrer, der diese Jungen trotzdem für Gott gewinnen wollte, konnte schon damals sehen, dass es nicht genügen würde, “wieder mehr von Jesus” zu reden.
Zum Beispiel für dieses Mädchen mit dem auffälligen Gottesmutter-Maria-Tattoo auf dem Arm. Am Montag vor Pfingsten arbeitet sie in einem Postshop in Hamburg. Auf das Kompliment eines Kunden, das sei aber ein besonders schönes Tattoo, lächelt sie: Es sei noch nicht ganz fertig. Und: “In die Kirche gehe ich ja nicht mehr, aber ich habe meinen eigenen Glauben.” Klingt fast entschuldigend. Nachfrage des Kunden: Ob sie denn getauft sei? “Ja, evangelisch!”
In der Theologie nennen sie so etwas heute Religionshybride: Junge Protestantinnen, die sich die katholische Ikone Maria tätowieren lassen. Pfarrerssöhne, die an christliche Werte, nicht aber an Gott glauben. Ostdeutsche Kirchbauvereine, deren Mitglieder nicht in der Kirche sind.
Man würde das Mädchen mit dem Tattoo gern auf einen Kaffee einladen, um mehr über ihren Glauben zu erfahren. Die YouTuberin Jana Highholder hätte das getan:
Kaffee-Date
heißt eines der Formate, die die 20-jährige Medizinstudentin im Internet bespielt, mit einer Fröhlichkeit, wie sie nur furchtlose Gemüter besitzen. Sie spricht Leute auf der Straße an, plaudert mit ihnen eine Tasse lang unverbindlich, um am Ende die Gretchenfrage zu stellen.
Woran glaubst du? Das ist die Frage, die man als Pfarrer zu Weihnachten oder bei Taufe und Trauung besser nicht mehr stellt. Weil die meisten aus der zahlreich versammelten “Gemeinde” vielleicht “Nein” oder “Weiß nicht” antworten müssten. Oder weil man nicht wie ein bekenntniswütiger Bibelverkäufer rüberkommen will. Man hält die Frage für übergriffig. Ist sie aber nicht, jedenfalls nicht bei Jana Highholder. Die Leute antworten ihr frei heraus. Vielleicht liegt es daran, dass man der Poetry-Slammerin mit dem Heiligenschein aus wilden Haaren anmerkt: Sie will keine Höflichkeiten hören, sie hat Nehmerqualitäten.
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