Gastautorin Rita Süssmuth wurde 1985 Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, ab 1986 zusätzlich für Frauen. Von 1987 bis 2002 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. 2000 saß sie der ersten Kommission zur Vorbereitung eines Zuwanderungsgesetzes vor, 2002 bis 2004 einer zweiten Kommission des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration. Von 2003 bis 2005 war sie Mitglied der UN-Kommission für internationale Migration (GCIM) unter Kofi Annan. Seit 2017 gehört sie dem World Refugee Council an. In Ihrem Gastbeitrag zum am Freitag im Bundestag verabschiedeten Migrationspaket geht sie vor allem auf Fragen des humanen Umgangs ein.
Seit bereits mehr als 20 Jahren arbeiten wir schon an gesetzlichen Neuregelungen zur Einwanderung von Fachkräften, die dringend heute und in Zukunft gebraucht werden. Lange Zeit bin ich davon ausgegangen, dass unsere Parlamentarierinnen und Parlamentarier und unsere Regierung handlungsentschlossen, besonnen und mutig sind und die eigenen Interessen mit den Belangen und Nöten der Einwanderer, insbesondere auch der Flüchtlinge, verbinden.
Inzwischen dominiert jedoch das Flüchtlingsthema: die Fragen des Schutzes von Flüchtlingen und der effektiven Kontrollen und Abschiebungen derjeniger, deren Aufenthalt rechtlich nicht abgesichert ist oder gar nicht besteht. Aufnahme und Begrenzung sind zwei Seiten einer Medaille, aber eben auch problematisch verschränkt.
Gesetze können verbessert werden
Das Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften wird im Paket behandelt und ist stets verknüpft mit den Fragen der Begrenzung: Schutz vor Einwanderung und Maßnahmen zur durchsetzungsfähigen Abschiebung. Letzteres verbindet sich unmittelbar mit der Frage und Festlegung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, aktuell bezogen auf Afghanistan und Eritrea.
Wie aber gelingt eine erfolgreiche Gewinnung von Fachkräften, wenn der Gesamttenor bei der Abwehr von Flüchtlingen liegt? Das belastet und erschwert. Daran muss bei der praktischen Umsetzung noch kräftig gearbeitet werden. Trotzdem bin auch ich für die Verabschiedung der verantwortlichen Teile des mehrteiligen Gesetzespakets gewesen. Es handelt sich nicht um ein Einwanderungsgesetz als Gesamtpaket, sondern um ein Teilpaket mit dringend gebrauchten Lösungsansätzen.
Die Erfahrung wird schon innerhalb eines Jahres zeigen, was gelingt und wo die Hürden einschränkender sind als die Grundsätze zur Einwanderung. Aber Gesetze können verändert und verbessert werden. Das wurde bereits an den bestehenden Regelungen zur Anerkennung der akademischen wie nicht-akademischen Abschlüsse gelernt oder auch an den zahlreichen Abänderungen hinsichtlich der Fragen der beruflichen Qualifizierung und der sprachlichen Integration. Wichtig ist, dass die Anforderungen an die möglichen Interessenten auch den Integrationsangeboten entsprechen.
Noch immer wird die Bedeutung der Familie, der wichtigsten Quelle für Zukunftsvertrauen und Leistungsanstrengungen, nicht ausreichend gewürdigt. Unsere Kenntnisse anderer Kulturen und ihrer für uns bereichernden Ressourcen werden immer noch unterschätzt, dagegen überschätzen wir unsere eigene Kultur. Wenn Menschen gebraucht werden und arbeiten dürfen, erhöhen sich Selbstwertgefühl, Zugehörigkeit und Einsatz für die Gesellschaft, in der sie leben.
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