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Andrea Nahles: 408 quälende Tage

Tag 1, 22. April 2018: Brutaler Anfang

Eigentlich hat es schon lange vor diesem Tag begonnen. Sie hat schon “Bätschi” gesagt, “in die Fresse” auch. 20 Jahre lang hat sie Machtkämpfe der Männer mit ausgefochten, an vorderster Front und mit aller Härte. Alles, woran Andrea Nahles am Ende ihrer 408 Tage scheitern wird, ist an diesem Tag im April schon da.

156 Jahre nach ihrer Gründung steht nun erstmals eine Frau an der Spitze der SPD. Doch Nahles, das verrät ihr Gesicht an diesem Tag, empfindet das nicht als historisch, sondern als niederschmetternd – 66 Prozent der Stimmen, der zweitschlechteste Wert bei einer Wahl zum SPD-Vorsitz seit 1945.

Viele Delegierte nehmen es Nahles übel, dass sie die Partei nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen in jene große Koalition geführt hat, deren – vermeintliches – Ende sie am Wahlabend noch so heftig bejubelt hatten. Sie fragen auch, ob Nahles ein Symbol für Erneuerung sein kann. Sie erinnern daran, dass Nahles zu Auftritten neigt, die eher zu einer Juso- als zu einer SPD-Chefin passen.

Alles hinter vorgehaltener Hand. Noch.

Nahles selbst weiß, wie sie später in einem Gespräch mit der
ZEIT
sagen wird, dass sie nun nicht nur die Vorsitzende der SPD ist, sondern die SPD selbst. Die Mitglieder schauten sie nun an, als betrachteten sie einen Spiegel und fragten sich: Bin ich das? Viele würden dann sagen: Nein, bin ich nicht. Nahles sagt: “Das ist wahnsinnig brutal.”

Tag 35, 26. Mai 2018: Der trockene Fluss

In den ersten Wochen nach ihrer Wahl empfindet Nahles die SPD “wie vertrocknet, das Flussbett ist noch da, allein es fehlt das Wasser”. Die Partei debattiere nicht mehr, wichtige Fragen wie Migration, Klima oder die Haltung zu Russland seien ungeklärt. Doch wenn Nahles versucht, den Fluss zu bewässern, scheitert sie, immer wieder. Als sie in einem Interview zur Flüchtlingsfrage am 26. Mai sagt: “Wir können nicht alle bei uns aufnehmen”, verurteilt die Berliner SPD ihre Äußerung als “rechte Rhetorik”. Ein Riss geht in der Flüchtlingsfrage durch die Partei, die nicht zu klären vermag, wofür sie eigentlich steht. Auch in der Klimafrage bleibt Nahles zögerlich. Als Kind eines Maurermeisters habe sie, wie sie sagt, die Ökologie aus der Sicht der Arbeiter gespiegelt bekommen. Umweltschutz sei das Wichtigste, das habe sie in der Schule von grünen Lehrern zu hören bekommen. Das teile sie bis heute nicht. Sie erkennt nicht, welche Wucht das Thema entwickeln wird.

Tag 148, 15. September 2018: “Rooooooot”

Nahles und die Ministerpräsidentinnen von Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig und Malu Dreyer, sind nach Offenbach gekommen, um Thorsten Schäfer-Gümbel, den hessischen Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl, zu unterstützen. Die drei Frauen tragen Rot. Nahles tritt hinter das Rednerpult, verweist auf Schwesig, Dreyer und sich selbst, legt dann los: “Ich sage nur rot – rooot – rooooooot.”

Auftritte wie dieser landen in der
heute-show,
bei
extra 3
– und im Internet. Dort sind sie zusammen mit “Bätschi”, “in die Fresse” und Nahles legendärer Bundestagsrede, bei der sie das Pippi-Langstrumpf-Lied sang, als Endlosschleifen abrufbar. “Juso-Tourette” habe sie, so ein Fraktionsmitglied.

Spricht man mit Nahles in jenen Tagen über diese Auftritte, erhält man unterschiedliche Botschaften. Zum einen betont sie, dass es in der Politik einst als Vorteil galt, authentisch zu sein, sich nicht zu verstellen, so zu sein, wie man ist. Zum anderen spricht sie von der Herausforderung, in “unterschiedlichen Rollen” anzukommen. Und dass sie da “durchaus noch Optimierungsbedarf” bei sich selbst sehe. “Es ist meine größte Stärke und meine größte Schwäche zugleich, dass ich kein PR-Maxe bin”. Sie sagt es so, als sei sie ein bisschen stolz darauf, so als wolle sie das gar nicht ändern, auch wenn man ihr das immer wieder rät.

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