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Regierungssturz: In der Defensive

Am Ende war es nur noch ein formaler Akt, seit den Morgenstunden war klar,
wohin die Reise führen wird. Nach einer wütenden Generalabrechnung wurde – simpel, als wäre es
nur eine weitere Novelle zum Personenbeförderungsgesetz – der Regierung nach 17 Monaten
emsiger Tätigkeit am Montagnachmittag in offener Abstimmung das Misstrauen ausgesprochen,
sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch seinem gesamten Kabinett. So, als sei es das
Normalste der Welt. Einige Minister waren da noch keine Woche im Amt. Es war ein einzigartiger
Vorgang, vielleicht sogar ein kleiner historischer Moment: Zum ersten Mal in der Geschichte
der Republik musste eine Regierung Platz machen – nicht gerade schmählich aus dem Amt gejagt,
aber doch auch nicht höflich des Raumes verwiesen.

Es ist eine bemerkenswerte Koalition, die sich im Gefolge der Ibiza-Affäre zum Kanzlersturz formiert hatte: Sozialdemokraten, Freiheitliche und die kleine Gruppe der Liste Jetzt (vormals Pilz) einte der Wunsch sich bei dem Kurzzeitkanzler zu revanchieren. Die große Oppositionspartei dafür, dass der frühere Regierungschef recht erfolgreich versucht hatte, sie in die Bedeutungslosigkeit zu manövrieren, was sie als fortgesetzte Demütigung empfand. Der ehemalige Regierungpartner rächte sich hingegen dafür, dass ihn Kurz nach dem Skandalvideo von der Urlaubsinsel und den Rücktritten des Vizekanzlers und des blauem Klubobmanns nicht weiter an Bord behielt, ganz so, als sei nur ein kleiner Lapsus Linguae passiert. In freiheitlichen Augen ein unverzeihlicher Verrat.

Keiner der Appelle hatte gefruchtet, weder jene aller Granden der Volkspartei noch jene des Bundespräsidenten, der zuletzt den Begriff der “Stabilität” ziemlich überdehnt hatte. Dank der für alle erdenklichen Eventualitäten gerüsteten Verfassung stürzte die Republik zwar nicht, wie angedroht, ins Chaos, doch der bei den Wählern nicht gerade populäre Racheakt eröffnet über einige Monate hinweg ungewisse Perspektiven. Das Staatsoberhaupt muss nun eine für alle Parteien akzeptable Vertrauensperson finden und sie mit einer neuerlichen Regierungsbildung betrauen. Das ist insbesondere in Hinsicht auf die Europapolitik eine heikle Aufgabe. Bei den nach jeder Wahl zum EU-Parlament obligatorischen Machtspielen und dem Geklüngel hinter den Kulissen tritt Österreich nicht mit seiner ersten Besetzung an, sondern mit einem Kanzlerersatz und Reserveministern – was wohl eher nicht die Stimme des Landes in Brüssel stärken wird. Ein Kollateralschaden, sowohl der Dummheit und Unverfrorenheit zweier freiheitlicher Funktionäre als auch der innenpolitischen Ranküne, die daraufhin Einzug hielt.

Der vorzeitige Abgang der Regierung war vermutlich unvermeidlich, doch gedient ist damit niemandem. Der Sturz kennt nur Verlierer. Zunächst weil mit dem Tag danach der Wahlkampf für den Urnengang im September mit voller Wucht entbrannt ist. Keine Partei war darauf vorbereitet, die Kassen sind klamm, Konzepte fehlen, die Kommunikationsmaschinen stottern, bei den Sozialdemokraten etwas mehr, bei der Volkspartei etwas weniger.

Parteichef Sebastian Kurz ist nach dem Vabanquespiel, das er mit seinem Koalitionsbruch vergangene Woche einleitete, endgültig in eine Hochrisikozone geschleudert worden. Auch wenn er seine Partei nach der Hochschaubahnfahrt der vergangenen Tage geeint hinter sich weiß, so ist er jetzt doch seiner Bühne beraubt, auf der er plante, sich bis zum Wahltag als staatsmännischer Hüter der österreichischen Interessen zu inszenieren. Er verfügt auch nicht mehr über den auf 120 Planstellen aufgeblähten Pressedienst im Kanzleramt, der zu seiner persönlichen Propaganda-Armee umfunktioniert worden war. Und das Bild des unrühmlichen Abgangs wird sich, dank endloser Wiederholung, in das kollektive Gedächtnis einprägen – Sieger sehen anders aus.

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