Die Erfolge der Grünen bringen eine Reihe Unerfahrener in die Parlamente. So erging es vor Kurzem auch Miriam Dahlke in Hessen. Dabei war das gar nicht ihr Plan.
Die Grünen könnten in Frankfurt-Bockenheim inzwischen einen Besenstil hinstellen und der werde gewählt. Das soll ein Mann, der in dem Stadtteil wohnt, über die Landtagswahl im vergangenen Oktober gesagt haben. Miriam Dahlke beugt sich über den Tisch, reißt Mund und Augen auf, durchlebt noch mal Empörung. Der Besenstil war sie. Die Volkswirtin, die plötzlich zur Politikerin wurde. Bockenheim liegt in ihrem Wahlkreis. Und es stimmt, die Wählerschaft dort ist typisch grün, junge Leute, viele Studierende. “Aber trotzdem: Mit dem Direktmandat hat niemand gerechnet”, sagt Dahlke.
Es ist ein Freitagnachmittag Mitte April im Begegnungszentrum Heddernheim. Dahlke hat zu ihrer ersten “Bürger*innensprechstunde” eingeladen, so steht es bei Instagram. Doch statt Bürgerinnen sitzen neben Dahlke nur ihre Mitarbeiter Nele und Johannes und zwei Bekannte von den Frankfurter Grünen. Ihnen erzählt sie die Geschichte von dem Mann aus Bockenheim. Im Hintergrund plauschen ein paar Senioren bei Kaffee und Tiefkühl-Sahnetorte. Sie interessieren sich nicht für die junge Landtagsabgeordnete, die im dunkelgrünen Wollpulli und mit schwarzen Sneakers am Nebentisch sitzt, die langen hellbraunen Haare wie immer hinter dem gepiercten Ohr.
Miriam Dahlke ist 30 Jahre alt, Schon-immer-Frankfurterin und seit Fukushima Mitglied bei den Grünen. Vor der Landtagswahl im Herbst ließ sie sich als Direktkandidatin für den Wahlkreis Frankfurt am Main II aufstellen. Ohne Erfahrung in der Landespolitik, ohne wirkliche Aussichten auf ein Mandat, ohne den Plan, tatsächlich ins Parlament zu gehen. “Ich bin ja echt noch jung, ich war gerade dabei, in meinem Beruf weiterzukommen. Ich hätte gar nicht so dringend in den Landtag gemusst”, sagt Dahlke. Niemand hat damit gerechnet, dass sie gewählt wird. Am wenigsten sie selbst. Sie wollte für ihre Partei werben, ein bisschen Wahlkampferfahrung sammeln. Aber selbst in den Landtag einziehen? Vielleicht irgendwann einmal.
Doch dann gewannen die Grünen in Hessen zum ersten Mal Direktmandate, fünf insgesamt, der Frankfurter Nordwesten ging an Dahlke. An ihr zeigt sich, was es bedeutet, wenn eine Partei plötzlich ein Hoch erlebt – getragen vom Frust über die große Koalition in Berlin oder dem Hitzesommer oder etwas ganz anderem. Es bedeutet, dass eine junge Frau ihren Job aufgibt und ein wenig auch ihr Privatleben, dass eine Bürgerin auf einmal zur Profipolitikerin wird. Und es bedeutet, dass eine Partei mit einer Gruppe unerfahrener Abgeordneter klarkommen muss.
Überrascht vom eigenen Erfolg
Das Unerwartete geschah am Abend des 28. Oktober 2018. Wenn Dahlke davon erzählt, verwendet sie immer wieder das Wort “krass”. Sie war erst in den Römer eingeladen, das Frankfurter Rathaus, später fuhr sie rüber ins Hotel Nizza zur Wahlparty der Grünen. Bis die ersten Zahlen aus den Wahlkreisen eintrudelten, dauerte es ewig, so erzählt es Dahlke, bis sie ihnen glauben konnte, noch länger. Sie hatte die App Wahlportal auf ihr Handy geladen, immer wieder aktualisierte sie die Liveergebnisse. Diesmal ging es nicht um irgendwelche Parteien und Prozente, es ging um sie.
Gegen elf oder halb zwölf stand fest, dass Dahlke mehr Erststimmen bekommen hatte als alle anderen Kandidaten in ihrem Wahlkreis. Und dass sie deshalb bald im hessischen Landtag sitzen würde, als eine von 15 Neuen in der Grünenfraktion. Im Nachhinein beschreibt Dahlke ihre Gedanken mit Worten, die nach freudiger Verwirrung klingen – und überhaupt nicht nach Politikerin. “Da war die ganze Zeit dieses: Krass, es passiert tatsächlich, und mein ganzes Leben ändert sich jetzt.”
Der Hessische Rundfunk sendete in der Wahlnacht ein Liveinterview mit Dahlke. Das Ergebnis sei “der absolute Hammer”, sagte sie ins Mikrofon, “einfach nur geil”. Neben ihr vor den Kameras stand der erfahrene Grünenpolitiker Marcus Bocklet, kurze graue Haare, Falten auf der Stirn. Bocklet ist schon seit 2005 für die Grünen im hessischen Landtag und gewann diesmal ebenfalls ein Direktmandat in Frankfurt. Er war es, der Dahlke zur Kandidatur überredet hatte. In der Wahlnacht hörte er zu, wie sie ins Mikrofon sagte: “Das Risiko ist eben da, wenn man antritt, dann kann man auch gewählt werden.”
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