Die SPD droht nach Ansicht von Juso-Chef Kevin Kühnert den Anschluss an große Teile der Bevölkerung zu verlieren. Viele Menschen nähmen die Sozialdemokraten nicht mehr als Teil ihrer Lebenswelt wahr, sagte Kühnert bei seiner Analyse der Wahlen vom Wochenende, bei der die SPD unerwartet schlecht abgeschnitten hatte. Das betreffe Menschen, bei denen Digitalisierung, Netzkultur und Klimawandel Teil der gelebten Realität seien.
Wegen des schlechten Ergebnisses werden Forderungen nach einer schnellen Entscheidung über den Verbleib der Parteivorsitzenden Andrea Nahles an der Fraktionsspitze laut. Der Abgeordnete Michael Groß schrieb an Fraktionsvize Achim Post, er beantrage eine Sondersitzung. In seinem Schreiben, über das zunächst der Tagesspiegel berichtet hatte, heißt es: “Nach den sehr bedauerlichen und desaströsen Ergebnissen der SPD bei den Wahlen muss klargestellt werden, ob die SPD-Bundestagsfraktion hinter ihrer Vorsitzenden steht oder nicht. Entweder sie wird breit gestützt oder nicht.” Groß und Post gehören beide zur SPD Nordrhein-Westfalen. Post wäre ein möglicher Kandidat für die Nachfolge von Nahles an der Fraktionsspitze. Als aussichtsreich gelten auch der ehemalige SPD-Chef Martin Schulz und Matthias Miersch aus dem linken Flügel der SPD.
Weiter schreibt Groß, ein “einfaches ‘Weiter so’, lediglich durch die in kompletter Abhängigkeit stehenden stellvertretenden Vorsitzenden und den Generalsekretär, sei keine Option”. Alle in der Fraktion müssten das legitimieren und nicht nur ein paar wenige im geschäftsführenden Vorstand.
Mutmaßungen über einen Sturz der Fraktionschefin wies Groß zurück. Es gehe ihm nicht darum, jemanden zu stürzen, sagte Groß. Er habe niemanden, den er statt Nahles aufstellen wolle, auch er selbst stehe dafür nicht zur Verfügung.
Nahles schließt Rücktritt aus
Regulär kommt die SPD-Bundestagsfraktion am kommenden Dienstag zusammen. Zudem soll bei einer Vorstandsklausur am Montag über Konsequenzen der Wahlniederlage bei der Europa- und Bremen-Wahl beraten werden. Groß fordert jedoch eine frühere Zusammenkunft. Den Spekulationen über Nahles müsse ein Ende gesetzt werden, sagte Groß.
Fraktionschefin Nahles hatte einen Rücktritt bislang ausgeschlossen. “Die Verantwortung, die ich habe, spüre ich, die will ich aber auch ausfüllen”, sagte sie nach einer Beratung der Parteigremien in Berlin. Die Europawahl und die Wahl in Bremen am Sonntag seien allerdings eine Zäsur gewesen.
Die SPD hatte bei der Europawahl nur 15,8 Prozent der Stimmen auf sich vereint und rutschte damit erstmals bei einer bundesweiten Wahl auf den dritten Platz hinter den Grünen und der CDU. Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen hatte die CDU die SPD zum ersten Mal seit mehr als 70 Jahren als stärkste Partei abgelöst. Auch bei den Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern hatte die SPD Verluste erlitten.
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