Nach der Rücktrittsankündigung der britischen Premierministerin Theresa May haben bereits mehrere britische Konservative offiziell ihre Bewerbung für den Parteivorsitz angekündigt. Weil in Großbritannien der Vorsitzende der Partei mit den meisten Sitzen im Unterhaus mit der Regierungsbildung beauftragt wird, wird der Parteivorsitzende zugleich auch Regierungschef.
May will ihr Amt als Parteivorsitzende der konservativen Tories am 7. Juni abgeben, ein Nachfolger soll bis Ende Juli bestimmt werden. Bis dahin will May als Regierungschefin im Amt bleiben.
Erwartet wird, dass sich bis zu 20 Bewerber dem Auswahlverfahren stellen. Das mehrstufige Auswahlverfahren soll in der Woche ab dem 10. Juni beginnen. Zunächst wird das Bewerberfeld von den Abgeordneten der Tory-Fraktion in mehreren Wahlgängen auf zwei Kandidaten reduziert. In jedem Wahlgang scheidet der Letztplatzierte aus. Die beiden verbliebenen Bewerber müssen sich dann der Parteibasis bei einer Urwahl stellen.
An den knappen Mehrheitsverhältnissen im britischen Parlament ändert sich mit dem Führungswechsel nichts – es sei denn, es gibt eine Neuwahl. Dafür hatte sich bereits die oppositionelle Labour-Partei ausgesprochen.
Boris Johnson
Der frühere Außenminister Boris Johnson gilt als Favorit unter den Bewerbern für das Amt des Parteivorsitzenden. Johnson war von 2008 bis 2016 Bürgermeister von London, in den zwei darauffolgenden Jahren war er Außenminister in Mays Kabinett. Johnson gilt als einer der größten innerparteilichen Widersacher der Premierministerin und zählt zu den Brexit-Hardlinern: Vor dem Brexit-Referendum hatte er die Leave-Kampagne für einen Austritt Großbritanniens aus der EU maßgeblich angeführt. Aus Protest gegen Mays Brexit-Strategie trat er 2018 von seinem Amt als Außenminister zurück.
Johnson plädiert für einen Austritt Großbritanniens zu dem bislang geplanten
Termin am 31. Oktober – mit oder ohne Abkommen. Kritiker befürchten, dass Johnson eine Art Wettrüsten um den Brexit auslösen könnte, bei dem sich die Kandidaten gegenseitig an Kompromisslosigkeit überbieten, um die Brexit-Hardliner an der konservativen Parteibasis auf ihre Seite zu ziehen. Befürworter Johnsons glauben, dass er gute Chancen hat, enttäuschte Brexit-Wähler wieder an die Partei zu binden.
Jeremy Hunt
Jeremy Hunt wurde 2010 Minister für Kultur, Olympia, Medien und Sport. Im September 2012 trat er die Leitung des Gesundheitsressorts an, nach dem Rücktritt von Boris Johnson übernahm er das Amt des Außenministers. Hunt gilt als einer der loyalsten Ressortchefs in Mays Kabinett. Als etablierter Kandidat werden ihm ebenfalls gute Chancen auf einen Wahlsieg ausgerechnet. Seine Position zum Brexit ist allerdings unklar: Ursprünglich galt Hunt als Befürworter eines Verbleibs Großbritanniens in der EU. Nach dem Referendum hatte er allerdings das von May mit der EU ausgehandelte Abkommen unterstützt und mehrfach vor den Folgen eines ungeregelten Brexits gewarnt.
Rory Stewart
Rory Stewart ist seit Mai 2010 Mitglied des Unterhauses, seit 2019 hat er das Amt des Ministers für Entwicklungshilfe und Gleichstellung im zweiten Kabinett von May inne. Stewart gilt als Hoffnungsträger derjenigen, die auf eine Kompromisslösung hoffen, also etwa auf einen Brexit mit enger Anbindung an die EU. Der ehemalige Diplomat hebt sich mit seiner sachlichen Art von den meisten seiner Mitbewerberinnen und Mitbewerber ab und plädiert dafür, sich möglichst bald wieder auf andere Themen als den Brexit zu konzentrieren. Stewart kündigte bereits an, im Fall einer Niederlage nicht Ressortchef unter dem früheren Außenminister Boris Johnson werden zu wollen.
Esther McVey
Die ehemalige Fernsehmoderatorin Esther McVey war von Januar bis November 2018 Arbeitsministerin im Kabinett von Theresa May. Ähnlich wie Boris Johnson trat auch McVey aus Protest gegen das von May mit der EU ausgehandelte Abkommen von ihrem Amt zurück. Die konservative Politikerin ist Befürworterin eines Ausstiegs Großbritanniens aus der EU. Für eine Nachfolge als Parteivorsitzende der Tory-Partei im Falle eines Rücktritts Mays hatte sie sich bereits im Mai ins Gespräch gebracht.
Matt Hancock
Matt Hancock ist seit 2018 amtierender Gesundheitsminister. Der bei der Bevölkerung beliebte Politiker war ein Befürworter der Remain-Initiative, hatte das von May ausgehandelte Abkommen aber ebenfalls unterstützt. Der BBC sagte Hancock bei der Ankündigung seiner Bewerbung, er werde sich dafür einzusetzen, den Ausstieg aus der EU umzusetzen. “Wir brauchen einen Anführer für die Zukunft, nicht nur fürs Erste”, schrieb Hancock außerdem bei Twitter. Er kündigte an, beim Brexit “liefern” zu wollen. Dann müsse das Land auch bei anderen Dingen “vorankommen” und sich eine “strahlende Zukunft” aufbauen.
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