Aus preußischer Enge in britische Weite, aus dem beschaulichen Berlin in die Weltstadt London. Einem wohlhabenden Freund aus Kindertagen hatte es Theodor Fontane zu verdanken, dass er 1844 zum ersten Mal nach England reisen konnte. Zuerst als Tourist, viele Jahre später kam er wieder auf die Insel, dann als Korrespondent im Regierungsauftrag. Der Wanderer durch die Mark Brandenburg schwärmte nicht nur über den „unvertilgbaren Eindruck“, den London auf ihn gemacht habe. Nein, er genoss auch die Idylle des Landlebens und den großzügig fließenden Sherry, nur der Hammelbraten drückte auf den Magen.
Wir kennen Fontane als Romancier und Journalist, begehen in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag – und tun ihm Unrecht damit, ihn als kauzigen Provinzler mit flotter Feder zu feiern. Ein neues Buch über den weltläufigen Fontane, in dem seine „Traumorte“ vorgestellt werden, beweist das Gegenteil. Er war, für jene Zeiten ungewöhnlich, ein bekennender und kundiger Europäer, auch wenn schwer zu sagen ist, welche Partei er am Sonntag in das Europaparlament wählen würde.
Fontane, der sich auf Englisch und Französisch gut verständigen konnte, war viel unterwegs, zwischen Dänemark und Italien. Mal mit, mal ohne seine Ehefrau Emilie Rouanet, beide aus der französischen Kolonie stammend, in der sich ab 1685 in und um Berlin die Hugenotten niederließen.
Wie sehr ihn auch die feine Gesellschaft des englischen Adels und Großbürgertums anzog, mit dessen aufwändigen Lebensstil Fontanes schmaler Geldbeutel nicht mithalten konnte: Der neugierige Schriftsteller ließ auch Schottland nicht aus, schrieb mit „Jenseits des Tweed“ einen schönen Reisebericht und entpuppte sich als Verehrer des schottischen Dichters Walter Scott.
Immer wieder finden sich in Fontanes Büchern Hinweise auf solche Reisen. In den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ schreibt er, wie sehr ihn Loch Leven Castle in den Lowlands an Schloss Rheinsberg erinnerte. Ein schräger Vergleich. Auch im „Stechlin“ wird die Sympathie des Autors für britische Kultur und Geschichte deutlich. Ausgerechnet England! Den Brexit hätte Fontane sicher nicht verstanden.
Sein Faible für die europäische Historie zog ihn auch nach Dänemark. „Wenn man’s nur erwarten kann, so geht einem zuletzt doch alles in Erfüllung – ich bin nun in Kopenhagen“, schrieb er 1865 fast euphorisch, wenn auch in schwieriger Zeit. Im Jahr zuvor hatten die Preußen an den Düppeler Schanzen den Sieg über die Dänen errungen. Der patriotischen Hochstimmung in deutschen Landen konnte sich auch Fontane nicht ganz entziehen, was ihm den Zorn des Dichterkollegen Theodor Storm, wohnhaft in Husum, zuzog: „Hol Sie der Teufel!“
„Hinterm Berge wohnen auch Leute“
Zwischen Schlachtfeldern und Thermalquellen trieb sich der märkische Dichter in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts auch in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie herum. Es ging nach Königgrätz, Karlsbad und Wien, und wieder wurde deutlich, dass der begabte Hobby-Militärhistoriker Fontane dem in Europa wütenden Nationalismus etwas entgegenhalten wollte.
Er beschrieb Leid und Tod auf dem Schlachtfeld, besuchte Lazarette und Friedhöfe und versuchte in Büchern und Zeitungsartikeln, Vorurteile gegen fremde Völker und Kulturen zu widerlegen. Fontanes Wahlspruch, den er dem Schriftstellerkollegen Willibald Alexis abgeschaut hatte: „Hinterm Berge wohnen auch Leute“.
In Frankreich hätte den journalistischen Kriegsberichterstatter fast der Tod ereilt, als er im September 1870 der Spionage verdächtigt und in den Vogesen von Freischärlern verhaftet wurde. Die Hinrichtung blieb Fontane erspart, aber nicht die unfreiwillige Reise durch französische Gefängnisse. Trotzdem schrieb er in seinem Erinnerungsbüchlein „Kriegsgefangen“, er habe bei dieser Tour de France von Soldaten und der Bevölkerung die „allerangenehmsten Eindrücke“ gewonnen. Dann der schöne Satz: „In solchen Momenten zählt nicht das, was trennt, sondern nur das, was verbindet.“
Im Ausland fühlt Fontane bei sich keine “patriotische Erhebung”
Als älterer Herr bereiste Fontane die Schweiz und Italien, auch wenn er sich gern als „Nordmenschen“ einordnete. Die Liberalität und der Freiheitswillen des Alpenlandes faszinierten den kulturbeflissenen Brandenburger, obwohl er klagte: „Die Schweiz hat ihre Alpen und ihre Seen, ihre Uhrenfabriken und ihre Spitzenklöppeleien, aber Denkmäler? Niemand entsinnt sich, davon gehört zu haben.“ Die beschwerliche Kutschfahrt durch die Alpen nach Italien fand später literarischen Widerhall, als der kranke Schwiegervater des jungen Stechlin auf selbem Weg in den Kurort Pfäfers reiste.
Dann der Süden! Eine nachgeholte Silberhochzeitsreise mit Ehefrau Emilie: Rom, Venedig, Neapel, Capri und Blaue Grotte. Museen und Galerien. Dass Fontanes Effi Briest vom frisch angetrauten Baron Innstetten durch Kunstsammlungen und Kirchen in Verona, Vicenca und Padua geschleift wurde, hat seinen Ursprung in dieser Reise. Auf Schritt und Tritt empfinde man, „wie sehr uns diese alten und reichen Culturlande voraus sind“, schrieb Fontane 1875 in einem Brief. Es wolle ihm nicht glücken, „es im Auslande zu irgendeiner patriotischen Erhebung zu bringen“.
Die Germanistin und Theologin Luise Berg-Ehlers, die über Theodor Fontane promoviert hat und Gründungsmitglied der Fontane-Gesellschaft Potsdam ist, hat dessen Wanderungen durch Europa akribisch und unterhaltsam nachverfolgt. „Theodor Fontanes Traumorte“ heißt das schön gestaltete Buch, erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag, München. 24,95 Euro.
Zum Weiterlesen:
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