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Rechtspopulismus: Eine Generation steht auf

2019 ist auf den ersten Blick ein ziemliches volles Jahr. Ein Termin jagt den nächsten: In einigen Tagen wird ein neues europäisches Parlament gewählt, zur selben Zeit wählt man in vielen Bundesländern neue Städte- und Gemeinderäte und im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landesregierungen. Einige rechnen sogar damit, dass auch eine Bundestagswahl noch dazwischenkommen könnte. Und dann die großen, runden Jubiläen: Das Grundgesetz wird 70 Jahre alt und der Mauerfall 30.

Andererseits haben gerade die historischen Jahrestage jahrzehntelang bei den Wenigsten große Aufwallungen ausgelöst. Sie sind eher in einer beinahe stoischen Art gefeiert wurden, mit weihevollen Rückblicken und erinnerungsseligen Revuen. Schulterklopfen, Zeitzeugen, Blumensträuße. Die Geschichte schien eben, zumindest nach 1989, zuverlässig an und auf unserer Seite. Die Vergangenheit immer länger her, Fortschritt und eine stabile Zukunft waren etwas, worüber wir nicht weiter streiten mussten, sondern die sich ohne Weiteres und eigentlich wie von selbst einstellen würden.       

Jana Hensel ist Schriftstellerin und Autorin bei ZEIT ONLINE. Ihr Buch "Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein" erschien 2018 im Aufbau Verlag. © Michael Heck

Jana Hensel ist Schriftstellerin und Autorin bei ZEIT ONLINE. Ihr Buch “Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein” erschien 2018 im Aufbau Verlag. © Michael Heck
© Michael Heck

2019 aber ist alles anders, 2019 ist nichts mehr gewiss. Zum nunmehr vierten Mal jährt sich in diesem Jahr die Entscheidung Angela Merkels, die Grenzen für die Flüchtlinge nicht zu schließen. Seither ist, einfach gesagt, ziemlich viel passiert. Sicherlich mehr als in all den Jahren seit der Wiedervereinigung. Nicht nur die äußere politische Landkarte Deutschlands ist ordentlich durcheinandergewirbelt worden, sondern auch die innere, mentale. Vor diesem Hintergrund, den man als eine neue Fragilität bezeichnen könnte, steht bei manchen vieles wieder infrage. Sogar Glaubenssätze des Grundgesetzes.   

2015 brach ein Konsens

2015 war eine Zäsur, der weitere kleinere folgten: Als die ostdeutsche Pegida-Bewegung gegen die Entscheidung Merkels auf die Straßen zog, brach ein lange gehegter, aber offenbar brüchig gewordener demokratischer Konsens wahrnehmbar auseinander. Denn der rassistische Protest barg von Anfang an auch eine grundlegende Kritik an unserem System und ihren Institutionen in sich. Die in ihren Spitzen größtenteils westdeutsche AfD hat diesen Protest anschließend erst in die Länderparlamente und 2017 in den Bundestag getragen. Auch eine neue Art einer gesamtdeutschen Koalition. Der Rechtsruck wurde damit schließlich zu einem landesweiten Problem, er ließ sich fortan nicht mehr nur auf den Osten lokalisieren und dorthin verschieben oder ausladen.

Schengener Abkommen – Ist das grenzenlose Europa in Gefahr?
Seit 2015 kontrollieren mehrere EU-Länder wieder ihre Grenzen. Ein Ende ist nicht in Sicht, eine Ausweitung schon. EU-Parlamentarierin Tanja Fajon kämpft dagegen.
© Foto: Reuters / Sven Wolters

Diese rechte Revolte aber hat noch mehr deutlich gemacht. Nämlich wie stark das Land in seiner inneren Verfassung von Ressentiments gelenkt wird und wie wirkmächtig sie sind. Denn einerseits richtete sich der nun lautstark offenkundig gewordene Rassismus nicht nur gegen die Flüchtlinge. Auch Deutsche mit Migrationshintergrund waren plötzlich wieder mitgemeint, wie Ferda Ataman in ihrem Buch Hört auf zu fragen, ich bin von hier beschreibt. Man denke nur an die Sätze von Alexander Gauland zu Jérôme Boateng. Andererseits bot, nachdem die ersten Pegidisten in Dresden auf die Straße gegangen waren, die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft erneut all ihre Stereotype und Abwertungsmechanismen gegen den braunen Osten auf, sprach sie sogar so laut und so verächtlich aus wie eigentlich seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Auch deshalb hat die Bundeskanzlerin zu Beginn des Jahres konstatiert: “Das Land war vielleicht nie so versöhnt, wie man dachte.”

Ein erschüttertes Geschichtsverständnis

Und, nicht minder wichtig: Der Rechtsruck erschütterte das bisherige deutsche Geschichtsverständnis und die dazugehörige Erinnerungskultur in ihren Grundfesten. Sicher nicht zufällig korrespondiert er mit den Ergebnissen einer Studie der Berliner Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft, die den Titel Trügerische Erinnerung. Wie sich Deutschland an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert trägt. Demnach geben mehr als zwei Drittel der Befragten an, unter ihren Vorfahren seien keine Täter des Zweiten Weltkrieges gewesen. 

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