Nur wenige sprechen die Botschaft so deutlich aus wie ein Brausehersteller aus Hamburg. Fritz Kola hat direkt am Hamburger Hauptbahnhof ein haushohes Plakat aufgestellt. Weiß auf schwarzem Grund steht dort geschrieben: “Kreuz ohne Haken. Europa wählen am 26.05.” Unter dem Slogan sieht man ein riesiges X in einem Kreis, wie auf einem Wahlzettel.
Das Unternehmen wolle die Leute motivieren, zur Wahl zu gehen, sagt Marketingleiter Joachim Stürken. Denn die
Beteiligung an den Europawahlen sei rückläufig, vor allem bei jungen
Menschen – “und die wollen wir gezielt ansprechen, weil sie zu unserem
Publikum gehören”. Stürken findet, Firmen hätten auch eine gesellschaftliche
Verantwortung, die sie wahrnehmen müssten. “Wir wollen das
nicht allein den Parteien und Politikern überlassen.”
Für eine bestimmte Partei will Fritz Kola dabei nicht werben. “Aber wir stellen uns ganz klar gegen rechts und Nationalismus”, sagt Stürken. Das Europa der Vaterländer, wie es einige Rechtspopulisten propagierten, wolle man nicht. “Das hatten wir früher schon mal und das ist ziemlich in die Hose gegangen.” Deshalb das Kreuz ohne Haken.
Werben für Europa
So wie Fritz Kola werben derzeit viele Organisationen für eine Teilnahme an der Europawahl oder für mehr politisches Engagement: große und kleine Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Kirchen und Kommunen. Sie plakatieren auf den Straßen und werben in sozialen Medien.
Ihre Botschaften klingen so: “Nutze Deine Stimme”, fordert der Musikdienst Spotify aus Schweden von seinen gut 70 Millionen Usern in Europa. Volkswagen teilte seinen Mitarbeitern auf dem Werksgelände in Wolfsburg über ein riesiges Banner mit: “Volkswagen wählt Europa”. Und die Lufthansa lässt öffentlichkeitswirksam einen ihrer Jets bedrucken mit der Aufschrift: “Say yes to Europe”. Die wenigsten Appelle aber sind mit einer konkreten Wahlempfehlung gegen rechtspopulistische Parteien verbunden. Was sollen sie bezwecken?
“Ein besonderes Phänomen”
Fest steht, dass es ein solches Engagement für eine Europawahl bisher noch nicht gegeben hat. “Das ist ein besonderes Phänomen”, sagt der Politikwissenschaftler und Wahlforscher Lothar Probst, emeritierter Professor der Uni Bremen. Er könne sich nicht daran erinnern, dass auf europäischer Ebene jemals in dieser Breite für mehr Wahlbeteiligung geworben worden sei.
Probst erwartet bei der anstehenden EU-Wahl eine höhere Beteiligung als zuvor, weil die Bedeutung der EU wachse und das den Bürgern zunehmend bewusst werde. Doch das sei “ganz unabhängig davon, wer jetzt dafür wirbt”. Man dürfe den Einfluss der Kampagnen nicht überschätzen. Das zeigten Beispiele frühere Initiativen etwa vor deutschen Landtagswahlen.
Die Auftraggeber der Werbekampagnen jedoch erhoffen sich viel. Zum Beispiel Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Gesamtmetall-Verbandes, in dem
die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie organisiert sind. Die Europäische Union sei “insgesamt ein Segen”, sagt er. Zanders Verband hat ein Video drehen lassen, in dem Menschen auf der Straße, bei der Arbeit, beim Sport gezeigt werden. Über Lautsprecher dröhnt mit strenger Stimme eine Durchsage: “Ab 12 Uhr mitteleuropäischer Zeit werden die Gesetze der Europäischen Union für eine Woche ausgesetzt.” Die Leute im Film beginnen sich zu sorgen, welche Folgen das für sie hat. Es werden Visa und Reisepässe für den Grenzübertritt nötig, die nationalen Währungen kommen zurück, diverse Lebensmittel sind nicht verfügbar. Am Ende wird ein Slogan eingeblendet. “Manchmal merkt man erst, wie gut etwas ist, wenn es fehlt.”
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