/“4 Blocks”: Wem die Straße gehört

“4 Blocks”: Wem die Straße gehört

Rashid Ali war gerade 15 geworden, als kürzlich in Berlin ein
stadtbekannter arabischer Clanchef beim Spaziergang mit Frau und Kindern auf offener Straße
erschossen wurde. Rashid will Polizist werden. Tritt er vor dem Friseurgeschäft seines Vaters
in Berlin Neukölln auf die Straße, kann er den Clans bei ihrem Treiben zusehen. Die
Drogenkuriere, die in ihren Mercedes vorbeifahren. Die Eintreiber von Schutzgeldern, die zu
dritt in den Imbiss gegenüber marschieren und nach fünf Minuten wieder draußen sind. Die
kleinen Dealer auf dem Weg zum Görlitzer Park, von denen manche mit ihm zur Schule gegangen
sind. “Klar, die lachen uns aus. Bis du dir als Friseur so einen Lamborghini leisten kannst,
da musst du 500 Jahre lang Bärte schneiden!” Rashid sieht das alles, und er sieht auch, dass
die Nachrichten vom Auftreten der Abou Chakers und wie die Clans alle heißen “ein schlechtes
Licht auf uns alle hier” werfen, vor allem auf die Araber in Deutschland. Aber wenn man ihn
nach seiner Lieblingsserie fragt, sagt er:
4 Blocks.
Seine Augen leuchten: mit
Stolz.

Wie kann das sein?
4 Blocks,
eine Serie des Bezahlsenders TNT
,

erzählt die Geschichte des libanesischen Clanchefs Ali “Toni” Hamady und seiner Familie, die in Neukölln mit Kokainhandel, Prostitution, Glücksspiel, Erpressung und Geldwäsche ein florierendes Imperium aufgebaut haben. Wenn es Toni geboten erscheint, werden die Hinterzimmer des Hauptquartiers auch mal zum Foltern genutzt. So ein arabischer Clanchef – das ist die eine Hassfigur, auf die sich von rechts bis links, von der Feministin bis zum AfD-Mann, alle einigen können. Mord, Machismo, Sozialbetrug, “isch ficke deine Mutter” und Drogenhandel – es gibt niemanden, der all das verteidigen würde.

Und doch ist die Serie mit weit über einer Million Zuschauern einer der größten Erfolge des Bezahlsenders. Wenn man durch das “arabische Neukölln” streift, durch die Sonnenallee und die benachbarte Karl-Marx-Straße, und in den Shisha-Bars oder Bäckereien herumfragt, macht man eine verblüffende Entdeckung. Ausgerechnet eine Serie, die mit Beats, Raps und strahlenden Farben das Verbrechen und seinen Preis in Szene setzt, das Übelste vorführt, das die Herkunftsdeutschen über ihre arabischen Nachbarn annehmen – ausgerechnet diese Serie ist, auf verrückte Weise, ein Vehikel von Integration.

Dervis Hizarci, 36, ist in diesen Straßen aufgewachsen. Sein Vater war türkischer “Gastarbeiter”, Öltankmonteur, die Mutter Hausfrau. Hizarci ist heute Geschichtslehrer – er unterrichtet genau in dem Viertel, in dem
4 Blocks
spielt, an der Grenze von Neukölln zu Kreuzberg, und genau die Jugendlichen, die für die Serie schwärmen. Jugendliche, die so ticken wie er selbst mit 16. “Es ist die Serie für sie, wir reden dauernd darüber, sie leben quasi darin. Jeder sieht in der Serie einen, der so ist, wie sie sind. Einen, der so ist, wie sie sein möchten. Und eine, die man auf keinen Fall sein will.” Fast alle Haltungen zum Zusammenleben in Deutschland stecken in der Serie: dabei sein wollen, dagegen sein, draußen bleiben – und das Schattenreich dazwischen.

Wer man sein will – darüber muss man mit Rashid Ali und seinen Altersgenossen nicht lange reden. “Veysel!!!” Der Rapper Veysel Gelin spielt in der Serie Tonis Bruder Abbas, eine Naturgewalt mit fetter Glatze, fetter Kette, großbusiger polnischer Freundin, großer Wumme, der sich gern im Goldbrokat-Tanga auf der Ledercouch drapiert. Im wirklichen Leben hat Veysel einmal im Alter von 25 Jahren einen Menschen mit einem einzigen Faustschlag zu Tode gebracht und dafür im Knast gesessen. Wo Toni grübelt, langt Abbas zu. Abbas ist das Es zu Tonis vergrübeltem Ich. Als Abbas in der zweiten Staffel von
4 Blocks
wegen Mordes an einem Polizisten ins Gefängnis kommt, schlägt er als Erstes dem obersten Drogenboss die Zähne aus.

Mit Toni, dem Clanchef, ist es komplizierter. Er grübelt, er leidet, er hält sich mit der Gelassenheitspille Tavor und Wodka mühsam aufrecht. Seine Ambivalenz kommt vielen Gesprächspartnern bekannt vor. “Er will dazugehören in Deutschland – und dann auch wieder nicht”, sagt Khaled (27), der an diesem Vormittag mit seinem Kollegen Mohanad (25) vor einem Imbiss sitzt. Viel Zeit haben sie nicht zum Reden, wie überhaupt auffällt, dass im Problemkiez Neukölln hart gearbeitet wird, gerade in der “Gastro”. Beide lachen, als Mohanad Toni nachmacht: “Ich will der Deutscheste aller Deutschen werden!” Aber dann geraten sie in Streit über einen zentralen Punkt der Serie.

Hits: 26