Wäre Annika Wittmann nicht so ehrlich gewesen, sie hätte heute einen Job. Aber ihr Chef stand kurz vor einem längeren Urlaub, und seine Rückkehr wollte sie nicht abwarten, obwohl ihr neuer Arbeitsvertrag noch nicht unterschrieben war. “Ich wusste, wenn er wiederkommt, habe ich schon einen Bauch”, sagt sie, “das wäre mir unangenehm gewesen, und ich hätte es unfair gefunden.”
Als der Chef in ihr Büro kommt, um den Beginn ihres neuen Vertrags zu besprechen, nutzt sie also die Gelegenheit. Sie erzählt ihm, dass sie schwanger ist, und erklärt gleich auch ihre Pläne: Dass sie nach dem gesetzlichen Mutterschutz sofort wiederkommen will, dass sie also von den 15 Monaten Vertragslaufzeit nur drei Monate ausfallen wird, dass sie ja ohnehin nur Teilzeit arbeitet und das Kind auch einen Vater hat. Der Chef, so erzählt Wittmann, reagiert anders als erwartet: “Er hat herumgedruckst, ich müsse ja für das Kind da sein”, sagt sie, “eine Frau müsse zu Hause beim Kind sein, erst recht in den ersten drei Jahren.”
Ein paar Tage später erkundigt sich Wittmann bei der Personalreferentin nach dem Stand der Dinge. “Da sagte sie, die Stelle müsse neu bewertet werden, und bis das erledigt sei, sei mein Kind schon auf der Welt, daher könne man nichts machen.” Die angebliche Neubewertung war ein Vorwand, da ist sich Wittmann sicher.
Manche Frauen wissen gar nicht, dass ihnen Unrecht geschieht
Von Geschichten wie der von Annika Wittmann hört man immer wieder. Aber obwohl die Arbeitgeber rechtswidrig handeln, landen solche Fälle selten vor Gericht. Warum klagen die Frauen nicht?
Manchmal, weil sie gar nicht wissen, dass ihnen Unrecht geschieht. Dass eine Kündigung aufgrund von Schwangerschaft nicht zulässig ist, ist weithin bekannt. Dass der gesetzliche Schutz von schwangeren Frauen aber weitergeht, dass es etwa eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstellt, wenn eine Frau einen bereits zugesagten Vertrag wegen einer Schwangerschaft doch nicht bekommt, das ist Betroffenen oft nicht bewusst, sagt Nina Straßner, Fachanwältin für Arbeitsrecht, die viele solcher Fälle erlebt hat.
“Bei vielen Arbeitgebern besteht da gar kein Unrechtsbewusstsein”, sagt Straßner, “die denken, warum sollte man denn einer Frau noch einen Vertrag geben, wenn sie schwanger ist?” Ähnliches gelte für viele Frauen, “die wachsen mit dem Glauben auf, sie müssten ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihrem Unternehmen eine Schwangerschaft ‚antun’”, sagt Straßner. “Wenn die Arbeitnehmerin sich nicht wehrt, dann kommt die Firma in der aktuellen Rechtslage mit so etwas eben durch.”
Kennt eine betroffene Frau ihre Rechte, dann kann sie froh sein, wenn sie eine Rechtschutzversicherung hat oder in einer Gewerkschaft ist. Sonst muss sie nämlich erst mal einen Anwalt oder eine Anwältin bezahlen – und bekommt die Kosten dafür auch nicht zurück, wenn sie den Prozess gewinnt. Bei Auseinandersetzungen vor dem Arbeitsgericht muss jede Seite ihre Anwaltskosten selbst tragen. Das ist sinnvoll, weil die meisten Menschen es sich nicht leisten könnten, im Fall einer Niederlage die Anwaltskosten eines Unternehmens zu tragen; es heißt aber auch, dass die Klägerin selbst bei einem Sieg von der erstrittenen Entschädigung erst mal Anwalt oder Anwältin bezahlen muss.
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