/Stromtrasse Südlink: Auf der deutschen Protestlinie

Stromtrasse Südlink: Auf der deutschen Protestlinie

Was tut man, wenn die Zukunft des Landes plötzlich durch den eigenen
Vorgarten verlaufen soll? Wenn sie droht, den Acker zu durchpflügen, den Partyschuppen
niederzureißen, den Wanderweg zu durchkreuzen?

Eine Bäuerin in Niedersachsen nagelt Holzkreuze zusammen. Ein Politiker aus Thüringen
organisiert eine Menschenkette. Ein Anwalt aus Bayern ruft zum zivilen Ungehorsam auf.

Die Zukunft, die alle drei aufhalten wollen, kommt in Form von Stromkabeln. Mehr als 700
Kilometer lang, vergraben in einer bis zu 34 Meter breiten Fläche, genannt die Südlink-Trasse.
Glaubt man Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), sind diese Kabel der direkte Weg in ein
neues Zeitalter der deutschen Energiepolitik: Er nennt den Bau “eine Jahrhundertaufgabe”, und
die Bundesregierung sieht Trassen wie sie als zentrales Mittel, um das Land mit grünem Strom
zu versorgen. Die Kabel sollen die Energie von den Windrädern in Schleswig-Holstein zu
Fabriken in Bayern und Baden-Württemberg transportieren. Und Deutschland endlich ein Stück
näher an die Klimaziele bringen.

Wären da nicht die Bürger, die dort wohnen, wo die Zukunft einmal hinsoll. Überall entlang
der Strecke haben sie Initiativen gegründet
, etwa 50 sind es schon. Sie heißen
“Bürgerinitiative für ein lebenswertes Werratal”, “Thüringer gegen Südlink e. V.” oder “BI
gegen den Trassenwahnsinn”. Vor ein paar Wochen haben die Unternehmen Tennet und TransnetBW
bekannt gegeben, wo genau sie die Kabel verbuddeln wollen. Die Bundesnetzagentur wird ihren
Vorschlag in den nächsten Monaten prüfen, spätestens im nächsten Jahr wollen sie entscheiden.
Jetzt bereiten die Aktivisten den Widerstand vor.

Brunsbüttel, Schleswig-Holstein: Ein Fährführer wundert sich

Was viele Menschen im Rest des Landes über den Protest denken, kann man an diesem Morgen in
Brunsbüttel erleben, einer Kleinstadt an der Elbmündung in Schleswig-Holstein. Es ist der 1.
Mai, halb neun Uhr früh. Auf einem Platz raucht noch das Maifeuer der vergangenen Nacht. Eine
Fähre bringt die ersten Autos und Menschen ans andere Ufer ins Industriegebiet. Dort soll der
Strom einmal losfließen, 2025, wenn die Trasse fertig gebaut ist.

Quelle: tennet.eu © ZEIT-Grafik: Matthias Holz

Südlink ist eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Wie ein Verlängerungskabel, das vom Wohnhaus in
den Schuppen führt, soll es den Strom ohne Unterbrechung von einem Ende zum anderen leiten.
Brunsbüttel ist die Steckdose, in die das Kabel gestöpselt wird.

Schon jetzt hat sich die Energiewende hier tief in das Landschaftsbild gezeichnet. Dutzende
Oberleitungen tragen den Strom von den Windrädern auf den Feldern und der Nordsee her. Ein
Kabel mehr würde hier wohl kaum auffallen.

“Südlink, was ist das?”, fragt der Fährführer. Von der Trasse habe er noch nie gehört. Sie
sei ihm aber eh egal. Als er erfährt, dass Menschen sich vor ihr fürchten, schüttelt er den
Kopf. “Die Schiffe hier transportieren Säure und Gas, was soll ein Kabel schaden?” Eine
Radfahrerin kommentiert: “Gefährlicher ist wohl das Maifeuer.” Auch der Bürgermeister sagt am
Telefon: “Alle in Deutschland wollen die Energiewende. Da müssen wir durch.” Aus ihren Worten
spricht das Unverständnis, dem man oft begegnet, wenn man über den Protest spricht.
Unverständnis gegenüber Leuten, die ein Projekt verhindern wollen, das hier oben Arbeitsplätze
schaffen und die Erde vor der Erwärmung schützen soll. Gebraucht wird es, wenn mit der
Energiewende in den nächsten Jahren die Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, die
bisher viele Orte im Land mit Strom versorgt haben. Der Wind, der vor allem an der Küste weht,
soll dann dafür sorgen, dass die Lichter nicht erlöschen. Der Verdacht liegt nahe: Die
Demonstranten sind Egoisten. Oder Leugner des Klimawandels. Stimmt das?

Wir sind zu den Menschen gefahren, die sich der Energiepolitik in den Weg stellen, einmal
senkrecht durch Deutschland. Über Feldwege und durch Täler, zu Bauernhöfen und in Wohnzimmer,
in Gemeindehäuser und an den Stammtisch. Die Reise in sechs Bundesländer zeigt: Den Menschen
geht es um ihren Vorgarten, aber längst nicht nur. Auf der Protestlinie werden Probleme der
Energiewende sichtbar – und andere große Konflikte, die diese Gesellschaft spalten.

Döteberg, Niedersachsen: Eine Lehrerin und eine Bäuerin sorgen sich um ihr Zuhause

Auf der Reise ins Aktivistengebiet passiert es leicht, dass man die falsche Abfahrt nimmt.
Seit die Südlink-Planung vor fünf Jahren begonnen hat, wurde die Strecke immer wieder
verschoben. Und damit auch die Protestlinie. Erst sollten die Leitungen über der Erde
verlaufen. Also demonstrierten Tausende gegen die “Monstertrasse”, die ihre Landschaft
“verschandeln” und ihrer Gesundheit schaden würde. Im Jahr 2015 brachte Horst Seehofer, damals
noch bayerischer Ministerpräsident, das Bundeskabinett dazu, den Aktivisten entgegenzukommen.
Die Kabel sollten vergraben werden, obwohl das gut das Dreifache kostet – etwa zehn Milliarden
statt drei Milliarden Euro für die gesamte Strecke.

Die Trasse wurde aus dem Blickfeld der Menschen verbannt, nicht aus ihren Gedanken. Zwar
verschwanden einige Initiativen. Aber andere machten weiter, ermutigt vom Erfolg ihres
Widerstands, und neue wurden gegründet. Im niedersächsischen Döteberg, einem Dorf mit 347
Einwohnern, erst vor drei Wochen.

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