Die gute Nachricht zuerst: Deutschland kam nicht auf den letzten Platz beim diesjährigen Eurovision Song Contest in Tel Aviv! Aus Irland erhielt der Song Sister von der Gruppe S!sters zwei Punkte, aus der Schweiz sechs sowie aus Weißrussland und aus Dänemark sogar jeweils acht. Nach den Jury-Entscheidungen rangierte Deutschland auf Platz 21 von 26, ein unerwartet gutes Ergebnis. Die europäischen Zuschauer und Zuschauerinnen waren anderer Meinung – aus ihrem Votum konnten Null Punkte hinzugezählt werden. So blieb am Ende für Deutschland doch nur die drittletzte Position.
Dabei war die Bühnendarbietung von Laura Kästel und Carlotta Truman sogar recht ordentlich und angenehm anzusehen. Anders als bei früheren Gelegenheiten schrien die beiden sich nicht bloß an, sondern erweckten wenigstens phasenweise den Eindruck, ein in verschiedenen Stimmungslagen gleichbleibend funktionsfähiges Gesangsduo zu bilden.
Der Preis für die schlechteste Live-Performance des Abends geht denn auch nicht an sie, sondern – außer Konkurrenz – an die ehemalige Popsuperdiva Madonna, die eigens nach Tel Aviv angereist war, um ihr im Juni erscheinendes Album Madame X zu bewerben. Nach dem Ende des Wettbewerbsteils spielte Madonna zwei Songs, Like A Prayer aus dem Jahr 1989 und Future von der neuen Platte. Zu diesem Zweck hatte sie sich mit einer Piratenaugenklappe bekleidet sowie mit einer schwarzen, Strass besetzten BDSM-Piratenritterrüstung mit wulstigen Schulterpolstern: einem Kostüm, in dem sie auf eher ungünstige Weise gestopft und gedrungen wirkte. Zu Like A Prayer hatte sie sich, abweichend vom Original, einen pseudoaktuellen Trap-Rhythmus anfertigen lassen, ein dünnes Brrtl-di-grrl-klicker-di-klacker, über dem sie mit ihrer noch dünneren Stimme herzzerreißend schief sang, während um sie herum ein paar Dutzend Mönche auf einer Showtreppe standen. Zu Future bat sie ihren Gesangspartner Quavo von dem Rap-Trio Migos auf die Bühne und duettierte mit ihm mit nunmehr deutlicher Unterstützung durch Autotune-Filter, was die gesanglichen Mängel der beiden auf erleichternde Art überdeckte.
Allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen am Wettbewerb war der Gebrauch von Autotune hingegen strengstens verboten; ein Reglement, das zu einigen interessanten ästhetischen Verrenkungen führte. So etwa schon gleich zu Beginn bei der maltesischen Kandidatin Michela: Sie bot in kurzen weißen Hosen und einer weißen Weste mit transparenten Plastikärmeln einen R’n’B-Song namens Chamäleon dar, dem man überdeutlich anhören konnte, dass er, wie eben die meisten R’n’B-Songs der Gegenwart, auf eine mit Autotune verfremdete Stimme hin komponiert war. Das Verbot dieses Mittels versuchte Michela dadurch zu kompensieren, dass sie das von diesem Filter typischerweise erzeugte Leiern und Zittern der Stimme auf der Bühne live simulierte, was allerdings eher so wirkte, als sei sie tatsächlich nicht in der Lage, einen der von ihr anvisierten Töne tatsächlich zu treffen. In dieser Disziplin wäre sie dann so gut wie Madonna. Wesentlich kompetenter leierte es dann gleich danach bei der albanischen Kandidatin Jonidi Maliqi, ihr lag das Leiern aus Gründen der musikalischen Tradition offenkundig sehr.
Was kann man sonst noch über die Kandidaten und Kandidatinnen des diesjährigen Eurovision Song Contest sagen? Die tschechische Gruppe Lake Malawi verfügte über die schönsten Pullover des Abends – gelb, schwarz und rot – und den am engagiertesten neben dem Takt herumklöppelnden Schlagzeuger. Sergey Lazarev aus Russland hatte sich die Bühne als Spiegelkabinett einrichten lassen, worin er diversen Abspaltungen seiner Persönlichkeit gegenübertrat. Einmal stand er auch in einem von widrigen Wettern beregneten Glaskasten, aus dem er trotz intensiven Klopfens gegen das Glas nicht herauskommen konnte; ein psychotherapeutischer Dauerbrenner, leider nicht besonders originell. Auch bei der nordmazedonischen Kandidatin Tamara Todevska war Selbstvervielfachung als Zeichen der innerlichen Entfremdung ein Thema: Sechs weitere Tamaras standen mit dem Rücken zu ihr auf der anderen Seite der Bühne, während sie davon sang, dass es wichtig ist, stolz zu sein und die Regeln zu brechen.
Der lustigste Auftritt des Abends gelang dem für San Marino antretenden 54-jährigen Glanzglatzenträger Serhat mit seinem Lied Say Na Na Na. Er versuchte, in weißem Anzug und mit heiserer Leonard-Cohen-Stimme zu flotten Bumsbeats und dramatisch kicherndem Frauenchor das eine oder andere dreißig Jahre jüngere Ding in seine Kiste hineinzugurren. An den besten Stellen klang Serhat, als ob Right Said Fred die Pet Shop Boys covern – rätselhafter Weise kam er mit Say Na Na Na am Ende nur auf den 20. Platz.
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