Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeit ihrer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vollständig erfassen. Wie das Urteil in die Praxis umgesetzt werden soll, ist allerdings noch nicht ganz klar. Bisher gibt es in
Deutschland für Arbeitgeber keine allgemeine Pflicht zur
Arbeitszeiterfassung, lediglich Überstunden müssen dokumentiert
werden. Woher wissen Berufstätige heute schon, dass sie nicht zu
viel arbeiten – aber auch nicht zu wenig? Und woher weiß der Chef,
dass seine Mitarbeiter nicht vier Stunden in die Mittagspause gehen?
Fünf Antworten von fünf verschieden Berufstätigen.
Marie Bachmann, 51, ist promovierte Geografin und seit 13 Jahren an einem Forschungsinstitut in Berlin tätig. Ihre Arbeitszeit erfasst sie selbst.
Um unsere
Arbeitszeiten zu dokumentieren, nutzen alle Mitarbeiter in unserem
Institut eine Excel-Tabelle: In den Spalten stehen die Projekte, an
denen wir arbeiten, in den Zeilen die Wochentage. In den
Schnittfeldern notieren wir die Anzahl der täglichen Stunden je
Projekt. Ich entscheide selbst, was genau ich in die Tabelle
eintrage. Es kontrolliert auch niemand, ob ich wirklich 30 Minuten
Mittagspause gemacht habe – oder doch 32.
Ich bin
Projektleiterin und untersuche mit meinen Kollegen etwa für
Landesregierungen und Kommunen, wie bestimmte Maßnahmen oder
Förderprogramme im Städtebau und Stadtumbau wirken. Ich bin 25
Stunden pro Woche am Institut, arbeite aber je nach Projekt temporär
auch mal mehr. Das Schöne an der Tabelle: Ich sehe ganz genau, wie
viele Überstunden ich angesammelt habe und kann die dann in
Absprache ausgleichen. Wenn mal weniger los ist, nehme ich mir frei.
Das muss ich zwar beantragen, aber das geht recht unkompliziert.
Früher
habe ich bei
einer großen Beratungsfirma gearbeitet, wo man sich mit einer Karte
ein- und auschecken musste. Das fand ich auch nicht schlecht. Jetzt
fällt bei mir ein wenig mehr Aufwand an, da ich immer selbst genau
notieren muss, wie viel ich für welches Projekt gearbeitet habe. Der
Vorteil ist, dass ich so immer im Blick habe, wie viele Stunden ich
in den verschiedenen Projekten bereits gearbeitet habe.
Erich Schulz, 52, ist Diplom-Ingenieur und ausgebildeter Gas- und Wasserinstallateur. Er leitet einen Augsburger Meisterbetrieb für Sanitär- und Heizungstechnik sowie Spenglerarbeiten. Seine 80 Angestellten notieren ihre Arbeitszeit selbstständig.
Ich kontrolliere meine Mitarbeiter
nicht. Das könnte ich auch gar nicht, die sind ja die meiste Zeit
auf der Baustelle. Wir sind ein Meisterbetrieb für Sanitär- und
Heizungstechnik und installieren zum Beispiel die Heizungsanlagen in
Neubauten oder bauen dort die Bäder ein. Da könnte ich meinen
Angestellten gar nicht mit der Stechuhr hinterherlaufen. Das würde
ich auch nicht wollen – ich vertrauen denen.
Meine Leute notieren jede Stunde auf
ihrem Stundenzettel, und bezahlt wird nach Tarifvertrag. Überstunden
fallen schon mal an, aber mir ist wichtig, dass die dann auch schnell
wieder abgefeiert werden, am besten gleich freitags in derselben
Woche. Ein gutes Verhältnis zu meinen Angestellten ist wichtig, weil
ich sie brauche. Wegen des Fachkräftemangels sind wir auf jeden
Einzelnen angewiesen.
Ich persönlich arbeite etwa sechzig
Stunden die Woche. Woher ich das weiß? Weil ich jeden Tag vor sieben
Uhr anfange und nach Sieben heimkomme. Das ist mein Rhythmus. Hin und
wieder nehme ich mir auch einen Nachmittag frei, zum Beispiel um mit
den Kindern baden zu gehen. Meine Arbeitszeit wird von niemandem
kontrolliert, ich bin ja der Chef. Nur vor meiner Frau muss ich mich
manchmal rechtfertigen.
Melanie Schwarz, 35, arbeitet seit zwei Jahren als Community- und Social-Media-Managerin beim Telefonanbieter Sipgate in Düsseldorf. Ihre Firma möchte verhindern, dass die Mitarbeiter Überstunden anhäufen. Dabei hilft eine klassische Stechuhr.
ZEIT ONLINE: Frau Schwarz, Sie stempeln
jeden Morgen, wenn Sie ins Büro gehen. Ist das nicht ein wenig
altmodisch für ein Softwareunternehmen im 21. Jahrhundert?
Melanie Schwarz: Bei uns gilt die
Vereinbarung, dass wir nicht mehr als 40
Stunden die Woche arbeiten. Wir machen kreative Arbeit. Mehr als acht
Stunden am Tag gehen da einfach nicht. Die Stempeluhr, bei der ich
mich jeden Tag ein- und auschecke, hilft mir, das im Blick zu
behalten.
ZEIT ONLINE: Funktioniert das auch?
Schwarz: Insgesamt ja. Heute morgen hat meine
Uhr Plus 3,25 Stunden angezeigt. Das liegt auch daran, dass
mein
Team derzeit an der Markteinführung eines neuen Produkts arbeitet.
Da fällt dann etwas mehr Arbeit an. Generell haben wir
eine Karenzzeit von plus/minus zehn Stunden, in dem Bereich sollten
wir bleiben.
ZEIT ONLINE: Und
wenn Sie trotzdem mal drunter oder drüber kommen?
Schwarz:
Falls das häufiger passiert, schaut jemand von der Buchhaltung bei
mir vorbei. Ich
werde auf die Zeit hingewiesen und kann dann mit meinem Team schauen,
wo das Problem liegt und wie man das ändern kann.
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