/“Fleabag”: Die Frau mit dem Seitenblick

“Fleabag”: Die Frau mit dem Seitenblick

Zur Halbzeit der zweiten Staffel von Fleabag bestätigt
ein katholischer Priester endlich, was wir längst geahnt haben: Die Titelheldin
ist nicht ganz dicht. Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) trinkt nicht nur zu viel
und hat Affären mit bereits vergebenen Menschen, sondern auch eine Neigung zum
Selbstgespräch. Als wollte sie ihr Leben für ein imaginiertes Publikum
inszenieren, wendet sie sich immer wieder direkt an die Kamera, kommentiert die
Einfältigkeit ihrer Mitmenschen, verzweifelt am eigenen Urteilsvermögen oder
guckt einfach nur vielsagend. Niemand scheint diese Marotte zu bemerken oder
sich dafür zu interessieren.

Außer der Priester. Fleabag lernt ihn bei einem Dinner
ihrer kolossal dysfunktionalen Familie kennen: Der Glaubensmann wurde
herbeigerufen, um die zweite Hochzeit ihres verwitweten Vaters zu moderieren.
Und Halleluja, hat Gott die Gebete seiner oberklassigen Londoner Schäfchen erhört!
Er schickt ihnen einen jungen, verteufelt heißen, ständig fluchenden,
Dosen-Gin-Tonic kippenden und Rapmusik hörenden Fitnessstudio-Pfarrer (Andrew Scott), wie er nur im Drehbuch schwarzhumoriger englischer TV-Serien stehen
kann. Fleabag verguckt sich in den namenlosen Priester. Denn Fleabag muss tun,
was Fleabag tun muss. 

Die Serie basiert auf einem gleichnamigen
Ein-Personen-Theaterstück, mit dem die britische Drehbuchautorin und
Schauspielerin Phoebe Waller-Bridge 2013 in Edinburgh debütierte und später
erfolgreich nach London und New York weiterzog. Gesten- und anekdotenreich
berichtet die Titelfigur darin von sexueller Promiskuität und anderen
Versuchen, ihre innere Leere zu übertünchen. Fürs Fernsehen erweiterte
Waller-Bridge das Ensemble um Fleabags hypererfolgreiche Schwester (Sian Clifford), deren schmierseifigen Mann (Brett Gelman) sowie einen Vater im Frühstadium
der Verkalkung (Bill Paterson) und dessen unerträgliche Ehefrau to be,
Fleabags sogenannte Patentante (Oscargewinnerin Olivia Colman in ihrer nächsten
denkwürdigen Vorstellung). All diese Charaktere sind Paradebeispiele komplexbeladener
Ratlosigkeit oder Boshaftigkeit.

Mit diesem Material erlebt Waller-Bridge gerade den besten
Lauf aller englischen Serienautorinnen. Dass die 34-Jährige aus dem Londoner
Westen Fleabag nach nur zwölf halbstündigen Folgen auf dem Höhepunkt der
Show beendet, ist eine Machtdemonstration. Ihr bleiben schließlich die ähnlich
erfolgreiche Thrillerserie Killing Eve, eine Art Fleabag mit
richtigen Waffen, und die Arbeit am Drehbuch des nächsten James-Bond-Films.
Noch ein Projekt, das wie gemacht scheint für ihren wortwitzigen,
selbstironischen Stil.

Als verspieltes Autorinnenprojekt erkennt man Fleabag
schon am Umgang mit Namen. Neben der nur mit ihrem
Spitznamen (das englische Wort fleabag lässt sich am ehesten mit Streuner oder Mistkerl übersetzen) bezeichneten
Titelheldin gibt es etwa ihre verstorbene, als Schreckgespenst weiter durch die
Serie geisternde Freundin Boo sowie ihre selbstverliebte Schwester Claire, die
sich mit einem männlichen Kollegen einlässt, der ebenfalls Claire heißt. Waller-Bridge
kommt damit durch, weil sie nicht nur diese Schreibtisch-Eitelkeiten
beherrscht, sondern auch das Drehbuchhandwerk. Ihre Dialoge fangen die
zugespitzten Methoden der Kommunikation und Nicht-Kommunikation, die Familien
im Laufe der Jahre entwickeln, perfekt ein. Verglichen mit den destruktiven
Paarbeziehungen ihrer Familie erscheinen Fleabags Singleleben und der heimelige
Zweipersonenhaushalt, den sich der Priester mit Gott eingerichtet hat, als
erstrebenswerte Lebenssituationen.

Unverkennbar machen die Serie aber Fleabags Selbstgespräche.
Eigentlich gilt die vierte Wand im Serienfernsehen inzwischen als unantastbar.
Der alte Sitcom-Trick, dass sich das Personal einer Show direkt an sein
Publikum wendet, war – spätestens seit House of Cards – unwiederbringlich
durchgekaut. Waller-Bridge aber verhilft dem Stilmittel zu einem
unwahrscheinlichen letzten Frühling. Sie nutzt es für Slapstick-Einlagen und
dadaistischen Wortwitz, für körperbetonte Comedy und sarkastische Fußnoten über
das Geschehen der Serie. Ein Blick von Fleabag kann ganze Handlungsstränge erblühen
oder austrocknen lassen. Bis der Priester den Tick bemerkt und ihre Welt aus
den Angeln hebt.

Hits: 66