Klimawandel, Umweltverschmutzung, Tierleid. Wie schreibt man
Lyrik über eine Natur im Transformationsprozess? Über Arten, die aussterben oder Täler,
denen längst jedwede Ursprünglichkeit abhandengekommen ist? Manch ein Poet
wird zum Alarmisten oder Melancholiker, andere retten sich in utopische
Gegenbilder zu einer zunehmend verheerenden Realität.
Beschäftigen tun Natur und ihr Wandel in jedem Fall viele Lyriker. Wie kaum eine andere literarische Gattung hat sich die Dichtung
im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren mit diesen Themen befasst. 2016 veröffentlichte kookbooks die Anthologie Lyrik im Anthropozän, inzwischen hat sich unter dem Schlagwort eine eigene Traditionslinie entwickelt, die von Daniel Falb über
Silke Scheuermann bis hin zu Marion Poschmann reicht.
Heinrich Deterings Band Untertauchen reiht sich dort ein und ragt doch heraus, weil sich das Bewusstsein des möglichen oder bevorstehenden Verlustes bei ihm nicht aufdrängt und trotzdem enthalten ist, und zwar in der Anerkennung all der schnell zu übersehenden Meisterleistungen der Natur. Die Faszination etwa über einen Wasserläufer: “diese leichteste
Berührung übers / Wasser zu laufen das Wunder / ist so einfach und
niemand /
macht es ihm nach”. Und kommt einmal kein Staunen auf, so bringt das
lyrische
Ich immerhin Mitgefühl auf. Bei einer “unter dem Fenster” liegenden
“Mönchsgrasmücke […] / fiel // mir wieder ein, wie man es richtig machte
/ ein
wenig Erde Speichel das genügt / ein rasches Streichen mit der
Fingerspitze”.
Hinausgetragen “flog sie singend in den Mondschein auf”.
Statt einem Bedenkenträger
begegnen wir einem enthusiastischen Beobachter des Schönen und bisweilen
Verblüffenden. Dieser pflegt eine
Kultur des
Respekts, einer der ethisch begründeten Zurücknahme des Menschen
gegenüber
seiner Umwelt, die Detering in zärtlich-romantischen, aber nie naiven
Bildern
darlegt.
Was wir im Zuge der
technologischen Modernisierung zu verlieren drohen, was festgehalten werden muss, weil es vergänglich ist, mag man als die zentrale
Frage dieses Bandes, wenn nicht gar Deterings Œuvres der letzten Jahre im
Allgemeinen ansehen. Nachdem er in seiner Gedichtkompilation Wundertiere
(2015) versuchte, anknüpfend an die Romantiker eine Sprache der Natur zu finden, zielen seine aktuellen Poeme sogar noch weiter in
die Vergangenheit. So verweist die Kapitelüberschrift auf Selkirks Insel auf
das reale Vorbild für Daniel Defoes Robinson Crusoe, dem prototypischem Werk über die
humane Unterwerfung der Wildnis am Beginn des 18. Jahrhunderts. Detering griff mit der Nennung Selkirks nicht ohne Grund direkt auf den wirklichen Hintergrund und nicht auf Defoes Geschichte zu. Er
interessiert sich nicht für die Überlagerung und Überschreibung, sondern sucht nach den Ursprüngen vor oder jenseits der Zivilisation, gerade im Wissen, dass sie nicht mehr so leicht zugänglich sind.
Seine poetische Strategie
vermittelt dabei bereits der Titel Untertauchen. Immer wieder dringt sein
lyrisches Ich in kaum bekannte Tiefen ein: hinab zu “Ungesehene[em]” in “Korallenbänken des Rothen Meeres” oder
der seit “tausend[en] Jahre[n]” in der “Dunkelheit” verweilenden Seegurke.
Nicht minder reizvoll erscheinen ihm die “Wisperer” im Gras. Kaum je selbst
erblickt, “sind [sie] nur ein Gerücht”.
Die Lyrik des Literaturwissenschaftlers
und ehemaligen Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
ringt um das Unsichtbare. Es betrifft all das, was im rasanten Fortschritt
möglicherweise unterzugehen droht, und all das, was trotz aller
zivilisatorischen Expansion im Verborgenen immer schon Bestand hatte. Nämlich
so stille Zeitgenossen wie just die Seegurke oder auch die Krähe. Offenherzig bietet
ihnen der 1959 geborene Autor einen sicheren Ort, in manchmal festen Formen wie
Quartetten und manchmal kurzen Versnotizen. Wie in einem Album blättern wir uns
durch diesen Band mit seinen rätselhaften und verwunschenen Wesen. Es ist eine
Lektüre für den Frühling, die Lust dazu bereitet, versteckten Spuren in der
Landschaft nachzugehen.
Heinrich Detering: Untertauchen. Wallstein, Göttingen 2019, 95 Seiten, 20,00 €.
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