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Instagram: #eyecandy is over

Wir alle kennen diese Fotos von Michi und Mareike, wie sie in einigen hundert Meter Entfernung vor dem schiefen Turm von Pisa stehen, sich schräg in die Luft lehnen und so tun, als seien sie eine wichtige Stütze für den italienischen Denkmalschutz. Nein, weder zieht Mareike hauptberuflich Lastwagen auf DSF, noch ist Michi der größte Mensch unter der Sonne. Sie machen nur einen Witz, sie spielen nur mit einer optischen Täuschung.

Seit Touristen mit Kameras die Welt bereisen und Bildtrophäen für die Daheimgebliebenen sammeln, darf man sich immer wieder neue Variationen von Menschen vor Fotokulissen ansehen. Früher wurden sie in abendfüllenden Diashows präsentiert, heute auf Instagram. Zwei Unterschiede gibt es: Die Daheimgebliebenen sind heute ein Publikum von potenziell einer Milliarde Menschen, und @Meyekey und @Mareyekey (Ähnlichkeiten zu real existierenden Avataren sind rein zufällig) haben gehört, dass man inzwischen mit solchen Knipsereien Geld verdienen kann.

Schön sollen diese Bilder aussehen, erbaulich, lebensfroh, im besten Fall noch begehrenswert. Und weil es wohl kein Menschenleben auf der Welt gibt, dessen Livestream einem Disneyfilm entspräche, hat sich eine Instagram-Schattenindustrie gebildet, die Tapeten der Wohlgefälligkeit herstellt. Es gibt Städtetouren, Bodenbeläge, Pflanzen, begehbare Kunstwerke für Instagrammer. Hingegen sehnsüchtig erwartet: echte Freunde für Instagrammer.

In Toronto, so entnehmen wir unserem avocadofarbenen Newsfeed, hat jetzt ein Themenpark für Selfiesüchtige eröffnet mit dem programmatischen Namen ThisIsEyeCandy. Man kann sich dort zum Eintrittspreis von 20 Kanadischen Dollar 45 Minuten lang in den beliebtesten Szenen erfolgreicher Social-Media-Feeds herumtrollen. Die Veranstalter bringen laut Selbstbeschreibung “unglaubliche Installationen, multi-sensorisch immersive Räume und unendliche Momente der Sweetness” unters Volk. Diabetikerfreundlich ausgedrückt: Wer zu Hause kein Spiegelkabinett, keinen Tresorraum, keinen Swimmingpool oder Privatjet hat, kann sich hier in entsprechender Kulisse fotografieren.

Den Hochstapler-Kapitalismus von Instagram treibt dieses Projekt auf die Spitze: Je mehr #dolcevita, desto mehr Follower, desto mehr Marktwert. Da geht es eben nicht mehr um den Michi und Mareikes Spaß am Spiel, sondern um die öffentliche Inszenierung ihres Tuns mit dem Traumziel, es irgendwann als Selbstzweck betreiben zu können, weil es Auftraggeber gibt, die dafür bezahlen. Im Postkutschenzeitalter nannte man das Theater – und auf nichts anderes verweist die Kulissenobsession der Instagram-Schausteller. Das schöne Leben ist unhinterfragte Fiktion. Es zählt allein, was zu sehen ist, nicht, wie es gemacht ist.

Weil aber immer mehr Social-Media-Nutzer wissen, wie die Postings gemacht sind, bröckeln die Fassaden. Der Themenpark in Toronto arbeitet gewissermaßen an seiner eigenen Abschaffung. #eyecandy, so dürfen wir hoffen, hat seinen Höhepunkt überschritten. Abgelöst wird es von gnadenlosem Realismus. Auch der kann übrigens unterhaltsam sein, wie die “Fake Plane Ride Challenge” kürzlich zeigte: Niemand muss mehr im Jet unterwegs sein, um diese nervigen Videos vom Blick aus dem Flugzeugfenster posten zu können. Unter besonders jungen Influencerinnen aus den USA sind hochglänzende, perfekt inszenierte Postings offenbar schon von gestern. Sie feiern die dilettantischen Unschärfen, das Ungefilterte, die Awkwardness im Alltag. Schluss mit der Inszenierung von Illusionen. Da fällt uns ein: Das war doch schon Bertolt Brechts Idee vom epischen Theater. Wie sagt man auf Insta? #Epic, danke für die #Inspo.

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