Das Publikum grölt schon, bevor der Redner überhaupt angekündigt ist. Die Leute wissen: Jetzt kommt Nigel Farage. Kurz darauf setzt die Rockmusik ein und der Parteichef schreitet durch die Reihen, stehende Ovationen rundherum, Farage schüttelt Hände und grinst breit. Dann steht er auf der Bühne, sagt “Hello Peterborough!”, und die Menge ruft: “Nigel, Nigel!” Mehr als 1.500 Besucherinnen und Besucher sind zur Wahlveranstaltung in der englischen Stadt gekommen. Das Logo der Partei prangt groß an der Wand: ein Pfeil, der nach rechts zeigt, in der Mitte steht “Brexit Party”.
Die Partei ist erst wenige Wochen alt, macht die etablierte Politik in Westminster aber längst nervös. Laut einer aktuellen Umfrage könnten die Brexit-Fürkämpfer bei der Europawahl 34 Prozent der Stimmen erhalten und damit stärkste Partei in Großbritannien werden. Auf Platz zwei folgt, weit abgeschlagen, die Labour-Partei mit 21 Prozent. Die Verschiebung des EU-Austritts und die ziellose Strategie der Regierung geben einer neuen rechten Bewegung Auftrieb – und sie wird angeführt vom wirkungsvollsten und beliebtesten Rechtspopulisten des Landes. “He’s back!”, heißt es in Peterborough immer wieder: Farage ist zurück.
Niemand in Westminster unterschätzt seine Anziehungskraft. Unter seinem Vorsitz brachte es die United Kingdom Independence Party (Ukip) zu durchschlagenden Wahlerfolgen, bei der Europawahl 2014 stand sie an erster Stelle. Farage erhöhte in der Folge den Druck auf die Konservative Partei, was schließlich zum Entscheid des damaligen Premierministers David Cameron beitrug, ein Referendum über den Verbleib in der EU abzuhalten.
Endlich wieder auf dem Podium
Nach dem gewonnenen Plebiszit wurde es still um Ukip, Farage hatte sein Ziel vorerst erreicht. Seine Versuche auf der anderen Seite des Atlantiks, sich bei US-Präsident Donald Trump anzubiedern, wurden zu Hause mit Belustigung und Spott quittiert. Doch er hatte stets gedroht, dass er wieder in die britische Politik einsteigen würde, sollte die Regierung vom Weg zum Brexit abkommen – als habe er in den vergangenen Jahren nicht ohnehin ungeduldig darauf gewartet, endlich wieder auf dem Podium zu stehen und durch die TV-Studios zu touren.
Farages politische Karriere begann 1999, als er für Ukip ins Europaparlament gewählt wurde. Damals nahm kaum jemand die EU-feindliche Bewegung ernst, sie zog vor allem verschrobene Reaktionäre an, Ukip wurde als Ansammlung von Spinnern und Chaoten belächelt. Zuweilen bezeichnete sich Farage selbst scherzhaft als “Schutzpatron der hoffnungslosen Fälle”. Doch in den Jahren, die er abseits des Rampenlichts verbrachte, konnte er fleißig üben. Er schliff an seiner Rhetorik und probte den politischen Stil, der ihn zu einem der charismatischsten Politiker im Land machen würde.
In den Nullerjahren wurde Westminster von der Ästhetik New Labours dominiert. PR war wichtiger als Inhalt, politische Botschaften und Kampagnen wurden streng kontrolliert, Spindoktoren stellten sicher, dass die Berichterstattung in den Medien stimmte – der Politbetrieb wurde schal und entfernte sich zunehmend von den Normalbürgern. Demgegenüber gab sich Farage bewusst altmodisch: Er sprach direkt zu den Leuten, trat in Pubs und Gemeindezentren vor kleinen Gruppen halbwegs Interessierter auf und absolvierte nach eigenen Angaben Hunderte Veranstaltungen. So konnte er mit seinem Redestil und seiner Gestik experimentieren und sie laufend verfeinern, schreiben die Politologen Matthew Goodwin und Caitlin Milazzo in ihrem Buch über Ukip.
Einer, der dem Volk nach dem Mund redet
Farages Auftritt bei der Wahlveranstaltung in Peterborough ist routiniert. Er geht locker auf der Bühne auf und ab, spricht wie immer ohne Skript, sticht mit dem Finger in die Luft, um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen. Seine Wut auf die Politiker, die ihm den Brexit verderben, muss er womöglich nicht einmal spielen. Farage lockert seine Ausführungen mit Witzen auf, macht sich lustig über die neue proeuropäische Partei Change UK (“Ihr Logo sieht aus wie ein Balkencode im Supermarkt!”), über den EU-Kommissionspräsidenten, vor allem über Jean-Claude Junckers Hang zur Flasche (“Dank ihm weiß ich, dass ich selbst kein Alkoholproblem habe”), oder den neuen Brexit-Termin Ende Oktober (“Halloween! Trick or Treaty?”). Jeder Scherz wird ihm mit schallendem Gelächter gedankt.
Der häufige Kontakt mit den Wählern erleichterte es ihm im Lauf der Jahre, ein Image als Mann des Volkes zu pflegen. “Ich kann wirklich zu jeder Person hingehen und ein Gespräch anfangen, ungeachtet ihrer Herkunft”, brüstet er sich in seiner Autobiografie The Purple Revolution. Das Buch von 2015 ist voll von Verweisen auf seine Trinkfreudigkeit, gern beschreibt er, wie er nach einem anstrengenden Tag das Pub aufsucht und ein traditionelles Ale trinkt. So ließ er sich auch immer wieder ablichten: mit dem Pintglas in der Hand, der Zigarette zwischen den Fingern oder mit beidem zusammen. Ein Lebemann will er sein, der dem Volk nach dem Mund redet.
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