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Margarine: Voll fetter Geburtstag

Nierenfett, Milch, Wasser, Lab und Euter – aus diesen Zutaten entstand im
vorletzten Jahrhundert eine gewisse schmierige und unangenehm schmeckende Substanz. Das
fettige Zeug brachte dem Chemiker Hippolyte Mège-Mouriès im Jahr 1869 den Sieg in einem
Wettbewerb ein, den Napoleon III. zur Vorbereitung des Deutsch-Französischen Krieges
ausgeschrieben hatte. Gesucht wurde eine Kunstbutter, um die französischen Soldaten billig
satt zu bekommen. Das Ergebnis war zwar nur mit Mühe genießbar; aber einmal in der Welt,
verließ das Notfett diese nie mehr. Kunsthonige kamen und gingen. Ersatzkaffee kennt heute
fast niemand mehr. Die Margarine aber – wird schon 150 Jahre alt.

Die Geburt der Margarine aus Tierresten sprach nicht unbedingt für die beispiellose Karriere
der Ersatzbutter, die heute ganze Thekenquadratmeter im Supermarkt belegt, während sich das
Original mit einer kleinen Ecke begnügen muss. Die inzwischen weitgehend pflanzlichen
Streichfette (siehe Randspalte) sind lehrbuchgeeignete Beispiele dafür, wie man mit intensivem
Marketing aus einem minderwertigen Industrieprodukt einen Kassenschlager im Lebensmittelhandel
macht.

Da er einst bei der Erforschung von Rinderfett im Reagenzglas glänzende Kristalle gefunden
hatte, nannte Mège-Mouriès sein Produkt Margarinsäure – nach dem griechischen Wort
margaron
für “Perle”. 1871, zwei Jahre nach der Patentierung, verkaufte er seine
Erfindung an den niederländischen Butterhändler Jurgens, der sofort die erste deutsche
Margarinefabrik aufbaute und mächtig expandierte. Jurgens führte 1924 die Marke Rahma (nach
Protesten der Milchwirtschaft in “Rama” umbenannt) ein; seine Firma ging 1929 im
niederländischen Unternehmen Unilever auf. Dieses wuchs mit Rama, Sanella, Becel und Flora zum
globalen Fettgiganten heran.

Die erstaunliche Karriere des Notfetts verdankt sich besonders der von der Werbung innig
befeuerten Annahme, dass Margarine nicht nur billiger als Butter ist, sondern auch gesünder.
Daraus erwuchs ein Streit, der seit über einem Jahrhundert Gelehrte und Konsumenten
gleichermaßen entzweit und nicht selten die Züge eines Religionskriegs trägt. Was umso
verwunderlicher erscheint, als doch eigentlich Butter unbestreitbar ein Naturprodukt ist und
schon darum als gesund gelten könnte. Sie ist im Prinzip das, was sich oben auf der Milch
absetzt, gegebenenfalls versetzt mit Milchsäurebakterien oder Salz. Mindestens 82
Gewichtsprozent Fett, höchstens 16 Gewichtsprozent Wasser. Fertig. Was aber ist Margarine?

Margarine ist ein Industrieprodukt wie Diesel oder Polyurethan. Ausgangspunkt sind
Pflanzenöle. Die werden zunächst extrahiert, raffiniert, entlecithiniert, entschleimt,
entsäuert, gebleicht, desodoriert – das Ergebnis ist ein chemisch reines Öl ohne
Eigenschaften. Dieses flüssige Fett wird alsdann neu designt: Es wird gehärtet, fraktioniert,
chemisch umgebaut (umgeestert), stabilisiert, pH-eingestellt, mit Säuerungsmitteln wie
Milchsäure, Zitronensäure oder Joghurtkulturen aromatisiert, dann buttergelb gefärbt und
vitaminiert (Vitamine A, D, E und K). Streichfest wird die Kunstbutter dank Emulgatoren oder
Verdickungsmitteln.

Am Ende erhält man etwas Butterähnliches, das dann gern noch – Freunde ironischer Wendungen
mögen es ahnen – wieder mit echter Butter angereichert wird, damit es auch ein bisschen wie
diese schmeckt. Manchen Veganer erstaunt das sicher: Nicht nur, dass Margarine bis ins 20.
Jahrhundert aus tierischen Resten hergestellt wurde – nach EU-Richtlinien dürfen auch heute
noch selbst in “Pflanzenmargarine” tierische Anteile stecken, sogar bis zu zwei Prozent
Tierfett. Molke wird ebenfalls oft verarbeitet, ebenso Magermilch, Joghurt und Fischöl.

Anders war es im Zweiten Weltkrieg, als man mit dem sogenannten Fischer-Tropsch-Verfahren
Kohle “verflüssigte”, um Treibstoff herzustellen. Im Ruhrgebiet, in Witten, gewann man mit dem
Verfahren sogar Öl für eine Art Kohlemargarine. Damit wurden unter anderem Kriegsgefangene
ernährt.

Im Prinzip lässt sich Margarine folglich sogar aus fossilen Brennstoffen herstellen. Doch
wäre das gesund? Die weitaus meisten Kontroversen zur Butter-Margarine-Frage beziehen sich auf
die Fettsäuren, aus denen sich das jeweilige Streichfett zusammensetzt. Solche Diskussionen
sind beliebig kompliziert. Leider gibt es kein eindeutiges wissenschaftliches Votum für die
Bevorzugung einer Fettsäurengruppe. Es existieren Hunderte von diesbezüglichen
wissenschaftlichen Studien mit jedem denkbaren Ergebnis. Der Laie von heute hat sich meist
Folgendes gemerkt: Ungesättigte Fettsäuren sind gut, gesättigte schlecht (satt ist ja sowieso
schlecht!). Und am besten ist mehrfach ungesättigt. Gehärtet ist von Übel, ungehärtet
unbedenklich. Und wenn irgendwo Omega draufsteht: zugreifen! Omega-6-Fettsäuren sind klasse,
Omega-3-Fettsäuren noch viel besser. Vereinfacht gesagt: Margarine aus Rapsöl soll am besten
sein, ja, den Stoffwechsel betreffend fast schon ein Medikament. Die überwiegend aus
gesättigten Fettsäuren bestehende Butter hingegen gilt als des Teufels.

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