/Seenotrettung: Salvinis Spion auf dem Mittelmeer

Seenotrettung: Salvinis Spion auf dem Mittelmeer

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie “Die neuen Europäer”. Wir besuchen aus Anlass der Europawahl Menschen, die nicht von Europa träumen, sondern europäisch leben. Wir erzählen von neuen Konflikten und Glücksmomenten, die es ohne die EU nicht gäbe.

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Am 10. September 2016 begegnen
sich auf dem Mittelmeer, etwa 15 bis 20 Meilen vor der libyschen Küste, zwei
Schiffe: Die Iuventa der Berliner Hilfsorganisation Jugend Rettet und die Vos
Hestia
der Organisation Save the Children. Auf der Vos Hestia fährt an diesem
Tag ein italienischer Sicherheitsmann mit, sein Name: Pietro Gallo.

Damals werden die Seenotretter
noch gefeiert für ihren Einsatz. Rund
ein Dutzend privater Rettungsschiffe aus ganz Europa kreuzt über das
Mittelmeer und bringt, in Kooperation mit dem italienischen Staat, Zehntausende
Menschen an Land. Noch stellt niemand infrage, ob das eine gute Sache sei.

Der 10. September 2016 wird das
ändern. Dieser Tag steht am Anfang einer Kette von Ereignissen, an deren Ende
kaum noch private Seenotretter auf dem Mittelmeer unterwegs sind, an dem ihre
Schiffe in den Häfen von Italien und Malta festgehalten und die Aktivistinnen
und Aktivisten kriminalisiert werden. Gegen zehn ehemalige Crewmitglieder der
Iuventa wird in Italien ermittelt. Ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft. Mit
ausgelöst hat das jener Sicherheitsmann Pietro Gallo. Der ist heute arbeitslos,
verbittert und sagt, er habe das alles nicht gewollt: “Das Beste wäre gewesen,
ich wäre nie an Bord gegangen.”

Was ist an jenem Tag geschehen?

Seit morgens um sieben sind die
Aktivisten dabei, Flüchtlinge von seeuntauglichen Booten auf die Iuventa zu
bringen. Das kleine Schiff ist zwischenzeitlich heillos überfüllt, kaum mehr
manövrierfähig. Bei früheren Rettungen hatte die Crew bis zu 150 Menschen auf
das kleine Schiff geholt, an diesem Tag sind es bis zur Mittagszeit aber schon mehr als 400
Personen, knapp 100 weitere auf einer Rettungsinsel
im Wasser daneben.

Eine verdächtige Beobachtung

Die Evakuierung der Iuventa
beginnt am Mittag. Um 13.16 Uhr kommt ein Schiff der irischen Marine und nimmt
ihnen viele der Flüchtlinge ab. Aber es reicht nicht. Am Nachmittag wird die
Vos Hestia zu Hilfe gerufen. Auf ihr ist noch Platz. Um 15.49 Uhr, so geht es
aus dem Logbuch der Iuventa hervor, beginnt die Crew der Iuventa, die
verbliebenen 140 Menschen auf die Vos Hestia zu bringen. An Deck des Schiffes
steht Pietro Gallo.

Es ist sein erster Einsatz auf
See. Wenige Wochen zuvor hatte der Ex-Polizist bei der Sicherheitsfirma IMI
Security angeheuert. Die Firma wurde von der Reederei, von der Save the
Children die Vos Hestia gechartert hat, damit beauftragt, für die Sicherheit an
Bord des Schiffes zu sorgen. Ein normales Vorgehen, wenn die Rettungsschiffe
nicht der NGO selbst gehören.

An jenem 10. September macht
Pietro Gallo eine verdächtige Beobachtung. Er meint, zwei Männer mit dunkler
Haut zu sehen, die mit einem Schlauchboot von der Iuventa ablegen und in
Richtung der libyschen Küste steuern. Er reimt sich eine Vorgeschichte
zusammen. Das ablegende Boot “ließ mich glauben, dass die Crew der Iuventa die
140 Migranten vor unserer Ankunft von diesem Schlauchboot evakuiert hat und
es dann ins Wasser gelassen hat, mit den Schmugglern drauf”. So wird es Gallo
später der Polizei sagen, so steht es jetzt in der Ermittlungsakte.

Gallo deutet die Szene als Beleg dafür,
dass Jugend Rettet mit Schleusern direkt zusammenarbeitet. So werden es
später auch alle anderen deuten, die sich an den Aktivitäten der
Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer stören. Die Beobachtungen vom 10.
September werden zur Schlüsselszene im europaweiten Deutungskampf darum, was
diese privaten Schiffe auf dem Mittelmeer eigentlich sind: Retter, die als Letzte die europäischen Werte hochholten? Oder selbstherrliche Aktivisten, die
wissentlich oder aus Naivität das Geschäft der Schleuser erledigen?

Aber Beweise in Form von Videos
oder Fotos, die Gallos Version der Ereignisse belegen würden, gibt es nicht.
Nur die Aussage Gallos und seiner Kollegen.

Der Einsatzleiter auf der Iuventa
am 10. September, Sascha Gierke, hat eine andere Erklärung für Gallos
Beobachtung. Tatsächlich habe die Crew am Nachmittag eines der evakuierten
Flüchtlingsboote längs der Iuventa befestigt. Zum einen weil sie während der
Rettung nicht die Zeit gehabt hätten, es zu zerstören. Aber auch weil sie
befürchtet hätten, dass an diesem Tag noch mehr Flüchtlinge kommen würden, und
weder an Deck noch auf den Rettungsinseln noch Platz war.

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