Die UN meldeten am Freitag, dass
ungarische Behörden Flüchtlingen in von ihnen eingerichteten Transitzonen Essen verweigert haben.
Die ungarische Nichtregierungsorganisation Hungarian Helsinki Committee hatte bereits zuvor auf die Zustände
aufmerksam gemacht. Schon 2018 hatte sie ähnliche Fälle
dokumentiert und vor dem Europäischen Menschengerichtshof ein Eingreifen
erwirkt. Die NGO, ein Zusammenschluss von Anwälten und Anwältinnen, Ärzten und Ärztinnen und
Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, ist derzeit die einzige nichtstaatliche Organisation, die
Asylbewerbern in Ungarn rechtliche Unterstützung bietet. 2018 erhielten sie den
Pro-Asyl-Menschenrechtspreis. Márta Pardavi, Co-Vorsitzende der Organisation, wurde
2019 mit dem Civil Rights Defender of the Year Award ausgezeichnet. Finanziert
wird die NGO von den UN, der EU und den Open Society Foundations von George Soros.
ZEIT ONLINE: Frau Pardavi, die ungarische Regierung hat Transitzonen für Flüchtlinge eingerichtet, die diese während ihres Asylverfahren nicht verlassen dürfen. Sie sagen, dort sei zwischen Februar und April diesen Jahres 13 Menschen das Essen verweigert worden, einigen für fünf Tage. Sie sprechen von einem
“nie da gewesenen Fall von Menschenrechtsverletzung im Europa des 21.
Jahrhunderts”. Auch die UN haben die Praxis verurteilt.
Márta Pardavi: In Ungarn beobachten wir seit 2015 eine anhaltende
Verschiebung zu Praktiken und einer Rhetorik, die vor zehn Jahren noch
undenkbar waren. Damals hätten sich die Leute öffentlich dagegen positioniert.
Inzwischen gibt es wenige Stimmen, die diese Praktiken verurteilen. In Europa
Menschen einzusperren ohne ihnen Essen zu geben, geht jedoch weit über das hinaus, was
man inzwischen im Umgang mit Migranten als normal betrachten muss.
ZEIT ONLINE: Sie haben im August vergangenen Jahres
ähnliche Fälle dokumentiert. Was haben Sie dagegen unternommen?
Pardavi: Wir haben den Europäischen Menschengerichtshof angerufen,
der hat Sofortmaßnahmen erlassen. Wenn das Leben eines Einzelnen nachweislich
in Gefahr ist, kann der Gerichtshof das entsprechende Land auffordern, die
Praxis einzustellen. Das hat er gemacht. Das reicht aber nicht, es braucht
bindende rechtliche Bestimmungen, die grundsätzlich sicherstellen, dass diese
Menschen versorgt werden.
ZEIT ONLINE: Betroffen sind Menschen in den
Transitzonen. Welche Bedeutung haben diese Lager?
Pardavi: Sie sind der einzige Ort in Ungarn, an dem man seinen
Asylantrag stellen kann. Die Leute müssen in Serbien einen Antrag ausfüllen.
Die ungarische Regierung wählt dann aus, wen sie ins Land lässt. Teilweise
warten die Menschen länger als ein Jahr. Die Zahl der Menschen, die rein
dürfen, ist begrenzt. Derzeit akzeptiert Ungarn zwei pro Tag. Wer das Land auf
diesem Weg betritt, landet automatisch in den Transitzentren und muss dortbleiben, bis über seinen Asylantrag entschieden ist.
ZEIT ONLINE: Was wissen Sie über die Zustände dort?
Journalisten ist der Zutritt ja verboten.
Pardavi: Es sind letztlich Gefangenenlager, umgeben von
Stacheldraht, bewacht von bewaffneten Sicherheitsdiensten und Polizisten. Es gibt zwei im
Land, beide an der serbischen Grenze. Unsere Organisation darf seit 2017 nicht
mehr hinein. Wir arbeiten mit Anwälten, die die Menschen dort vertreten; von
denen haben wir auch die Informationen. Auch anderen NGOs wird der Zutritt
verwehrt. Folteropfer, Menschen mit Traumata erhalten seitdem keine
psychologische Betreuung mehr. Auch unbegleitete Minderjährige sind dort
untergebracht. Es gibt keinen offiziellen Weg raus, nur den zurück nach
Serbien.
ZEIT ONLINE: Die EU-Kommission hat Ungarn deswegen
vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt.
Pardavi: Ja. Es geht dabei unter anderem um die Frage, ob es mit dem
Gesetz vereinbar ist, Menschen ohne Haftbefehl festzuhalten. Die Betroffenen
können nämlich nicht dagegen klagen – weil Ungarn sich weigert, es als Haft
anzuerkennen.
ZEIT ONLINE: Die Menschen, denen das Essen
verweigert wurde, waren Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Ungarn
sagt, für die sei es nicht mehr verantwortlich. Was entgegnen Sie dem?
Pardavi: Die Aussage ist in mehrerer Hinsicht problematisch. Einige
haben gegen ihren Bescheid geklagt, die Ablehnung war noch nicht endgültig, sie
waren noch im Verfahren. Andere Asylbewerber wurden nicht einmal wirklich
angehört.
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