Die maledivische Menschenrechtsaktivistin Shahindha Ismail hat vorerst ein neues Zuhause gefunden: in Hamburg. Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ermöglicht ihr ein Jahr Auszeit an der Elbe. Ohne Drohungen, ohne Schikane. Im Gespräch mit ZEIT ONLINE erzählt Ismail, warum die Malediven für sie kein blaues Paradies sind – und wie es ist, wenn die eigene Welt auf ein paar klimatisierte Quadratmeter zusammenschrumpft.
ZEIT ONLINE: Frau Ismail, Sie werden jetzt ein Jahr in Hamburg leben. Das ist eine lange Zeit. Wie haben Sie sich von ihrer Heimat verabschiedet?
Shahindha Ismail: Am Tag vor unserer Abreise bin ich noch einmal tauchen gegangen. Und das Meer hat es gut mit mir gemeint, ich habe wunderschöne Fische gesehen, einen Babymanta zum Beispiel, und einen großen Rotfeuerfisch.
ZEIT ONLINE: Bei uns ist es gerade noch ziemlich kühl. Unsere Meere werden eigentlich nie so warm wie der Indische Ozean rund um die Malediven. Werden Sie das nicht vermissen, dieses blaue Paradies?
Ismail: Die Malediven sind kein Paradies, ganz und gar nicht. Sie werden von unseren Besucherinnen und Besuchern nur dafür gehalten. Das ist eine große Illusion, die für die Fremden am Leben erhalten wird. Das ist leicht, weil ja jedes Hotel seine eigene Insel hat. Ich lebte zuletzt wie in einem Gefängnis. Meine Wohnung ist zwar klimatisiert und gemütlich, aber für mich wurde sie ein Käfig. Ich ging so gut wie gar nicht mehr vor die Tür. Und wenn doch, dann nur ganz kurz und in Begleitung.
ZEIT ONLINE: Warum? Wovor hatten Sie Angst?
Ismail: Entführung. Mord. Ich bekomme Drohungen auf allen Social-Media-Kanälen: über Twitter, über meine Mailadresse, am Telefon. Ich nehme das sehr ernst. Einer meiner Freunde, der Blogger Yameen Rasheed, wurde 2017 erstochen. Ein anderer Freund, ein Journalist, ist schon 2014 spurlos verschwunden. Augenzeugen sahen, wie er in ein Auto gezerrt wurde. Beide Verbrechen sind bis heute nicht offiziell aufgeklärt.
ZEIT ONLINE: Und wer war es?
Ismail: Dazu möchte ich aus Sicherheitsgründen nichts sagen. Meine Freunde waren Menschen mit liberalen Ansichten. Das ist bei diesen Leuten Grund genug, um in Lebensgefahr zu geraten.
ZEIT ONLINE: Sie haben sich während der demokratischen Revolution 2003 für politische Gefangene engagiert, haben Hinweise auf ihren Verbleib gesammelt, Folterspuren öffentlich dokumentiert. Später ist aus Ihrem Maldivian Detainee Network das Maldivian Democracy Network geworden. Der Präsident der Malediven wird seit 2008 gewählt, es gibt eine demokratische Verfassung. Was ist denn an Ihrer Arbeit im Dienste dieser Demokratie bedrohlich?
Ismail: Unsere Verfassung erlaubt uns nicht nur Wahlen, sie macht auch den Islam zur Staatsreligion. Und der Einfluss religiöser Extremisten wird immer größer. Der Präsident, den wir bis zum September vergangenen Jahres hatten, war der Bruder des alten Diktators. Er hat die Religion als Machtinstrument genutzt, zum Beispiel, um alle möglichen Menschen, die für seine sehr autoritäre Auffassung von Präsidentschaft unbequem waren, zu diffamieren. Mein Thema sind Menschenrechte – auch religiöse Toleranz. Einmal schrieb ich einen Tweet, in dem ich argumentierte, dass andere Religionen mit Allahs Duldung existieren dürften, denn sonst würde er sie nicht existieren lassen. Daraufhin warf mir Vaguthu Online, eine Nachrichtenseite, die zu dieser Zeit von Präsident Yameens Frau herausgegeben wurde, Ketzerei vor und rief dazu auf, mich zu töten. Sofort danach kamen die Todesdrohungen von den Fanatikern.
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