/Artensterben: “Die Arten dieser Erde sichern unser Überleben”

Artensterben: “Die Arten dieser Erde sichern unser Überleben”

Wie lässt sich das Artensterben aufhalten? Das haben in der vergangenen Woche Ökologinnen,
Politiker, Diplomatinnen und Umweltschützer in Paris diskutiert. Heute ist der globale Report des Weltartenschutzrats IPBES erschienen. Der Ökologe Ralf Seppelt ist Umweltforscher und hat daran mitgeschrieben.

ZEIT ONLINE: Die Welt erlebt derzeit das größte
Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier, sagen Artenschützerinnen
und Artenschützer. Herr Seppelt, stimmt das?

Ralf Seppelt: Ja, es gibt keinen Zweifel daran. Der Mensch
hat den Planeten in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker und auf immer
größeren Gebieten beeinflusst. Wir entziehen dem Planeten mehr nachwachsende Ressourcen
als jemals zuvor. Und haben damit drei Viertel der Erdoberfläche an Land, 40 Prozent
der marinen Gebiete und die Hälfte der Flüsse stark verändert. Das bleibt nicht
ohne Folgen. 

Artensterben: Ralf Seppelt ist Departmentleiter am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung und Professor für Landschaftsökologie an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg. Er hat am globalen Zustandsbericht mitgearbeitet, der am 6. Mai vom Weltbiodiversitätsrat IPBES in Paris vorgestellt wird.

Ralf Seppelt ist Departmentleiter am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung und Professor für Landschaftsökologie an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg. Er hat am globalen Zustandsbericht mitgearbeitet, der am 6. Mai vom Weltbiodiversitätsrat IPBES in Paris vorgestellt wird.
© Sebastian Wiedling, UFZ

ZEIT ONLINE: Wie viele Tier- und Pflanzenarten sind denn
bedroht?

Seppelt: Von den weltweit bekannten 1,7 Millionen
Arten sind aktuell etwa 25 Prozent gefährdet, also circa 425.000. Wir wissen
aber: Es gibt weit mehr Arten, die wir noch nicht erforscht haben. Mit den
Daten der gut untersuchten Artengruppen wie Vögel oder Säugetiere können wir
davon ausgehend im aktuellen Bericht hochrechnen, wie viele Arten es weltweit
gibt: Und das sind 8,1 Millionen Arten. Und von diesen ist derzeit ungefähr eine Million
vom Aussterben bedroht.

ZEIT ONLINE: Welche Tiere, welche Pflanzenarten und
welche Ökosysteme sind besonders bedroht?

Seppelt: Vor allem solche, die es nur in spezifischen, räumlich begrenzten Regionen der Welt gibt: Auf den Galapagosinseln beispielsweise sind besonders viele Arten einzigartig und zugleich bedroht. Von diesen sogenannten endemischen Arten sind weltweit bereits 20 Prozent verschwunden. Auch im Meer sehen wir drastische
Veränderungen: Ein Drittel der marinen Säugetiere sind gefährdet, genauso ein
Drittel der riffbildenden
Korallen
. Bei den Amphibien sind es sogar 40 Prozent. Die Insekten sind
unsere artenreichste Gruppe, von ihnen sind zehn Prozent bedroht. 

ZEIT ONLINE: Flora und Fauna verändern sich seit Jahrmillionen, die Natur hat schon viele
Eiszeiten und Heißzeiten überlebt, sich angepasst und verändert. Was ist dieses
Mal anders?

Wir können zurzeit ein Artensterben nachweisen, das zehn- bis 100-fach schneller fortschreitet als in den zurückliegenden zehn Millionen Jahren.

Ralf Seppelt

Seppelt: Es
ist schwierig, eine aktuelle Situation mit solchen großen Zeiträumen zu
vergleichen. Und unser Einfluss auf den Planeten hat in den vergangenen 100 bis 200
Jahren maßgeblich zugenommen. Der Vergleich mit diesen Etappen zeigt aber deutlich,
dass wir zurzeit ein Artensterben nachweisen können, das zehn- bis 100-fach
schneller fortschreitet als in den zurückliegenden zehn Millionen Jahren.

ZEIT ONLINE: Warum
ist es überhaupt so gravierend, wenn Arten aussterben?

Seppelt: Die biologische Vielfalt in all ihrer
Gesamtheit – nicht nur einzelne besondere Arten – stellt unsere Lebensgrundlage
dar. Bei einigen Arten wird das sofort klar, wie bei der Honigbiene und der Wildbiene,
deren Verbreitung nach der IPBES-Analyse 2016
auch
in der Öffentlichkeit stark diskutiert wurde
. Wir erkennen, dass unser
Leben von ihnen abhängt, weil sie Pflanzen bestäuben. Würde es sie nicht mehr geben, hätte das entscheidende Auswirkungen auf unser Nahrungsspektrum.

ZEIT ONLINE: Über bedrohte Tiere – Pandas,
Robben,
Tiger
oder die Honigbiene – wird häufig mehr berichtet als über Pflanzen. Welche
Rolle spielt es für unser Ökosystem, wenn Pflanzenarten gefährdet sind?

Seppelt: Pflanzen sind, genau wie Tiere, Bestandteil
eines Netzwerkes, sie liefern Nahrung und Lebensgrundlagen für weitere Arten.
In der Natur bestehen überall Wechselwirkungen. Fehlen Pflanzenarten, kann das zum
Rückgang oder Aussterben anderer Arten, wie zum Beispiel Insekten, führen.
Blühen Pflanzen etwa durch den Klimawandel zum falschen Zeitpunkt, wirkt sich
das aus. Die Biodiversität ist das Sicherheitsnetz unserer Existenz und unserer
Gesellschaft. Je dichter das ist, desto stabiler und desto vielfältiger können
wir leben. Die Arten dieser Erde sichern so auch unser Überleben.

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