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E-Sport: Heldentöter mit Arbeitsvertrag

45 Minuten und 11 Sekunden dauert die entscheidende Partie.
Am Ende geht alles ganz schnell: Auf dem Bildschirm zerstören drei Helden des
blauen Teams den roten Kristall in wenigen Sekunden. Vor dem Bildschirm, in der
Halle in Oldenburg, springen fünf junge Männer von ihren Computern auf und
fallen sich in die Arme, goldenes Konfetti regnet auf sie herab. Mehr als 1.000
Zuschauer jubeln ihnen zu. Normalerweise tragen hier die Handballerinnen
des VfL Oldenburg ihre Heimspiele aus, an diesem Sonntag Mitte Dezember 2018
geht es aber um die Deutsche Meisterschaft in dem Computerspiel League of Legends. Nach knapp elf
Stunden und neun Partien steht fest: Das Team Euronics Gaming – meistens nur
ESG genannt – hat zum dritten Mal hintereinander den Titel geholt.

Auf YouTube ist das Turnier
in voller Länge
inklusive Siegerehrung und Jubel festgehalten.

Rund zwei Monate später, ein sonniger Februartag in einer
Kleinstadt an der Tauber in Baden-Württemberg: Muhammed Kocak, 23, sitzt
allein vor seinem Computer im Erdgeschoss. In dem großen Haus ist es still.
Außer ihm wohnen dort noch drei seiner ESG-Mitspieler und Kevin Westphal, der
ESG-Geschäftsführer und Manager des Teams in einer Person. Obwohl es schon nach
13 Uhr ist, scheinen die anderen Spieler noch zu schlafen. Gefragt, wo sie
sind, zuckt Kocak bloß mit den Schultern. Das sei nichts Ungewöhnliches.

Kocak ist ein zierlicher Mann mit fast schwarzen Augen und
Dreitagebart. Wie ein Extremsportler sieht er nicht aus, aber noch weniger wie
das Klischee des übergewichtigen, bleichen und pickligen Nerds, das
viele Menschen fälschlicherweise vor Augen haben, wenn sie das Wort Gamer
hören.  Im Gaminghaus wird Kocak meistens
Agurin genannt. So, wie er auch in League
of Legends
heißt – das ginge leichter über die Lippen als Muhammed, sagt
er.

Das Gehalt liegt irgendwo zwischen 2.000 und 4.000 Euro

Bevor er im Mai 2018 zu ESG gekommen ist, hat Kocak
Wirtschaftsinformatik studiert, bis zum fünften Semester. League of Legends hatte er bis dahin nur zum Spaß gespielt, doch
dann packte ihn die Lust zu “tryharden”, wie er es ausdrückt. Im Gamerjargon
heißt das: Ernst machen. Nicht mehr zum Spaß spielen, sondern mit dem Ziel,
jede Partie zu gewinnen und zum Beispiel eine Rangliste emporzuklettern. “Ich
hatte nicht mehr so viele Kurse und hab’s einfach mal probiert”, sagt Kocak.
Innerhalb kurzer Zeit erreichte den Challenger-Rang. Zumindest laut Statistik
gehörte er damit zu den besten 300 Einzelspielern in League of Legends in Westeuropa – von mehr als einer Million aktiven
Spielern in dieser Region insgesamt. “Da war mir klar”, sagt der 23-Jährige,
“dass ich mehr erreichen kann.” Nämlich auch für Geld zu spielen.

Turniere und Ligen einiger Computerspiele haben mittlerweile
Preisgelder, bei denen deutsche Handballprofis, Turner oder Leichtathleten vor
Neid erblassen dürften. Im Juli kämpfen zum Beispiel in Köln Profigamer im
Ego-Shooter Counter-Strike um 300.000
US-Dollar, bereits im fünften Jahr in Folge. Bei internationalen Turnieren
winkt oft sogar noch mehr Geld: Das chinesische Team Invictus Gaming räumte mit
seinem Sieg bei den Weltmeisterschaften in League
of Legends
im vergangenen November mehr als zwei Millionen Euro ab. Das
bisher am höchsten dotierte E-Sport-Turnier ist die Weltmeisterschaft in Dota 2. Das Gewinnerteam 2018 sackte
rund 11,2 Millionen US-Dollar ein. Einige E-Sportler sind inzwischen Millionäre: Dem Portal esportsearnings.com zufolge soll der deutsche E-Sportler Kuro
“KuroKy” Takhasomi im Laufe seiner Karriere im Spiel Dota 2 rund 3,7
Millionen Euro an Preisgeldern gewonnen haben.

E-Sport – Wettkämpfe zwischen Computerspielern – gibt es seit
Mitte der Neunzigerjahre. Doch zu einem Massenphänomen mit exorbitanten Preisgeldern
ist E-Sport in Europa erst vor wenigen Jahren geworden. League of Legends mit seinen zwischenzeitlich mehr als 100
Millionen Spielern pro Monat hat dazu beigetragen. Auch die immer schneller werdenden Internetverbindungen
erleichtern das Onlinespielen gegeneinander – und ermöglichen Millionen
von Fans, ihren Idolen über Livestreams dabei zuzuschauen: zum Beispiel via
YouTube oder über die Streamingplattform Twitch. Unternehmen wie
Coca-Cola, Daimler oder Wüstenrot investieren und werben im E-Sport. Der
Elektronikfachhändler Euronics ist seit 2014 im Geschäft und tritt als
Hauptsponsor von ESG auf. Außerdem hat das Gamerteam Partnerschaften mit einem
chinesischem Haushaltsgerätehersteller und Gaminghardware-Ausrüstern.

Kocak wohnt seit einem Jahr im Gaminghaus,
mittlerweile liegt sein Studium auf Eis. Irgendwann will er es noch
abschließen, aber aktuell ist er hauptberuflich E-Sportler für ESG – mit Arbeitsvertrag,
Sozialversicherung und allem Drum und Dran. Wie hoch genau sein Gehalt ist,
will Kocak nicht preisgeben: “Irgendwo zwischen 2.000 und 4.000 Euro.”

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