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“Islamischer Staat”: Botschaft an die Terrorjünger

“Als Gäste beim Anführer der Gläubigen”: Schon
der Titel des Videos, das die Terrorgruppe “Islamischer Staat” (IS) am Montag
veröffentlichte
, dürfte mit Bedacht gewählt worden sein. Denn die Aufnahmen
zeigen den IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi im Kreise von unkenntlich gemachten
IS-Kadern. Das Setting soll einer Audienz gleichen. Die Botschaft: Der “Kalif”
lebt, er funktioniert sogar als Anführer und amtiert wie gewohnt als
Respektsperson, die man aufsuchen kann.

Natürlich ist das Propaganda. Es ist unmöglich
zu sagen, ob das Video tatsächlich eine alltägliche Situation zeigt, ob Al-Baghdadi also wirklich an einem halbwegs sicheren Ort residiert, wo er
Besucher empfängt. Oder ob der Film eine artifizielle Situation schafft,
während Al-Baghdadi in Wahrheit aus Sicherheitsgründen keine zwei Nächte im
selben Zelt in der Wüste schläft. Die zweite Variante ist vermutlich näher an
der Wahrheit. Es ist noch nicht einmal bewiesen, dass es sich im Video tatsächlich um Al-Baghdadi handelt. Allerdings hegen auch westliche Nachrichtendienste daran keine
substanziellen Zweifel.

Doch schon diese Unklarheiten zeigen, dass der
Informationswert des Videos begrenzt ist. Wir sehen, was der IS uns zeigen
will. Wir sollen glauben, was er suggeriert. Zugleich gibt es fast keine unabhängigen
Erkenntnisse, mit der man die Propaganda entkräften könnte.

Wie das Video wirken soll

Aufhellen lässt sich allerdings, welche Wirkung
das Video auf die Anhänger des IS haben soll. Der “Kalif” zeigt sich in
Kriegermontur: in Tarnweste und mit Sturmgewehr neben sich auf dem Boden. Das
ist ein markanter Gegensatz zu der letzten bekannten Aufnahme von vor fünf
Jahren, als er in der Nuri-Moschee von Mossul im Irak das “Kalifat” ausrief. Damals
hatte er sich gezielt als erhabener und ziviler, religiöser Würdenträger in
Szene gesetzt. Nun soll das neue Video sagen: Unser Anführer ist einer von uns,
er teilt unser Schicksal.

Zugleich insinuiert das Video, Al-Baghdadi habe
volle Kontrolle über seine Organisation. So lässt er sich Akten reichen, in
denen angeblich Berichte aus den verschiedenen “Provinzen” des IS enthalten
sein sollen. Er zählt gefallene Kader aus diversen Abteilungen des Apparats auf und
suggeriert damit, dass er sie kannte, also jederzeit über alle Vorgänge
Bescheid weiß. Er akzeptiert huldvoll den Treueeid der Dschihadisten in Mali und
Burkina Faso und wünscht ihnen viel Glück im Kampf gegen “die französischen
Kreuzfahrer”.

Diese Szene verrät etwas über den Anspruch des
IS: Die Organisation, sollen die Anhänger glauben, existiert noch. Der
Verlust des Möchtegernstaats in Syrien und im Irak hat daran nichts geändert.
Das braucht man nicht zu glauben – natürlich hat der IS eine schwere Niederlage
erlitten. Allerdings ist in der Propaganda doch ein Kern an Wahrheit enthalten.
Der IS hatte zwei Jahre Zeit, sich auf den Fall des “Kalifats” vorzubereiten,
und er hat sie genutzt. Man sieht es daran, wie viele Anschläge er heute schon
wieder im Irak und in Syrien begeht, darunter gezielte Attentate. Ob allerdings
Al-Baghadi wirklich in der Lage ist, die Geschäfte zu führen, daran darf man
erhebliche Zweifel haben.

"Islamischer Staat": So tritt Abu Bakr al-Baghdadiim jüngsten IS-Video auf.

So tritt Abu Bakr al-Baghdadiim jüngsten IS-Video auf.
© Al-Furqan media via AP/dpa

Wenig überraschend

In dem Video erwähnt Al-Baghdadi die Schlacht
von Baghuz
, dem letzten Rückzugsort des IS in Syrien, die vor wenigen Wochen zu
Ende ging. Das erlaubt eine vorsichtige Datierung. Angehängt an das Video ist
eine Tonbotschaft, vermutlich ebenfalls von Baghdadi, in der er dann auch noch
auf die Attentate in Sri Lanka Bezug nimmt. Zusammen ein Hinweis, dass das
Video also wohl vor den Anschlägen in Sri Lanka aufgenommen und dann um eine
Tonbotschaft ergänzt wurde. Als aktuelles Lebenszeichen taugt das Material
damit. Über den Aufenthaltsort des “Kalifen” verrät es allerdings wenig.
Vermutlich hält er sich – wie von westlichen Nachrichtendiensten zuletzt vermutet
– noch immer im syrisch-irakischen Grenzgebiet auf.

Betrachtet man jenseits der Symbole die Rede
selbst, stößt man auf wenig Überraschendes. Der Kampf werde weitergehen bis zum
jüngsten Tag, Gott habe den Dschihad nun einmal befohlen, die “Kreuzfahrer”
sind voller Angst. Hier reiht sich ein dschihadistischer Topos an den
nächsten.

Zusammengefasst bedeutet das: Der IS-Chef lebt.
Die Organisation möchte sich als funktionsfähig darstellen. Die Anhänger sollen
bei der Stange bleiben. Mehr kann man aus dem Video nicht schließen. 

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