Fünf Jahre lang
hat Chinas Staatspräsident Xi Jinping machtstolz aufgetrumpft. Sein
Jahrhundertprojekt der Seidenstraße (Belt
and Road Initiative, BRI) war nicht bloß eine Nostalgie-Veranstaltung, die auf die historische Seidenstraße Marco Polos (1254–1324) im Norden und die maritimen Expeditionsrouten des Admirals Zheng He (1371–1535) im Süden verweisen sollte. Sie war auch kein Entwicklungsprogramm klassischen Stils – denn die Chinesen
wollen ja kräftig daran verdienen. Xis Seidenstraße war von Anfang ein geopolitisches
Projekt. Sie sollte China weltweit Einfluss und Gestaltungsmacht verschaffen.
Je rücksichtsloser das Vorhaben ins Werk gesetzt wurde,
desto mehr Kritik, Widerstand und Gegenreaktion löste es freilich aus. Es
brachte China in Verruf. Jetzt ist Xi Jinping offenbar in sich gegangen: Vorige Woche schlug er beim
zweiten Seidenstraßen-Forum in Peking ganz neue, leisere
Töne an. Der Kolumnist Fred Kempe vom Atlantic Council sieht darin einen Schritt von hubris to humility – vom Übermut zur
Demut. Ich füge hinzu: Falls es wirklich mehr ist als Verbalkosmetik.
China hat inzwischen mit über hundert Ländern und über zwei Dutzend
internationalen Einrichtungen Kooperationsabkommen abgeschlossen. “Konnektivität” lautet die Parole, die Infrastruktur auszubauen ist das Ziel: Eisenbahnen und Straßen,
Pipelines und Stromleitungen, Kraftwerke, Staudämme und Glasfasernetze sollen in mehreren Wirtschaftskorridoren, die
nach Süd-und Südostasien, nach Zentralasien und den Mittleren Osten über Europa
und Afrika bis nach Lateinamerika führen, einen beispiellosen
Wirtschaftsaufschwung auslösen. Dafür stellt Peking die sagenhafte Summe von einer Billion
Dollar bereit, von denen schon 440 Milliarden verplant sein sollen. Zum Vergleich: Der
Marshall-Plan der USA für Europa belief sich auf ganze 13 Milliarden Dollar, nach
heutigem Wert wären es 130 Milliarden. Zielbewusst haben die Chinesen alle anderen Staaten aus der
Planung, der Organisation und der Ausführung herausgehalten. 90 Prozent der Aufträge gingen an
ihre eigenen Firmen.
Win-win: China gewinnt zweimal
Kein Wunder, dass die Kritik allenthalben lauter
wurde: Es hieß, chinesische Unternehmen würden bevorzugt, dem Ausschreibungsverfahren
mangele es an Transparenz, auch verschlössen die Chinesen die Augen vor der
grassierenden Korruption und förderten sie sogar bei der Auftragsvergabe. Von den Malediven, Malaysia und Myanmar bis
hin nach Montenegro lockten sie arme Länder in eine Schuldenfalle. Können sie
nicht bezahlen, ob bar oder mit Rohstoffen, müssen die Schuldner der Volksrepublik die von ihr finanzierten und gebauten
Infrastrukturvorhaben übereignen. So geschah es beispielsweise mit dem Hafen von Hambantota auf Sri
Lanka, den sich Peking auf 99 Jahre verpachten ließ. Win-win, Xi Lieblingsvokabel, heißt dann eben: China gewinnt
zweimal.
Kein Wunder auch, dass die Spannungen wuchsen. Mit den
Vereinigten Staaten unter Donald Trump sowieso. Doch inzwischen auch mit der Europäischen Union. Die Europäer sehen in der Volkrepublik einen Kooperationspartner und Kontrahenten in Verhandlungen – aber auch einen wirtschaftlichen Konkurrenten, und neuerdings sogar einen
Rivalen im Wettstreit der politischen Systeme. Die USA und die EU – und neben ihnen viele andere Staaten und
ihre Wirtschaftsunternehmen – beklagen den beschränkten Marktzugang, den zwangsweisen
Technologietransfer, die üppigen staatlichen Subventionen für chinesische
Firmen und die Einflussnahme der Partei auf die Geschäftsführung. Sie alle
verlangen Reziprozität: ein ebenes Spielfeld für alle und ohne die bisherigen hohen Hindernisse für
Ausländer.
Kritik in Partnerstaaten und in China selbst
Selbst in vielen Partnerstaaten des Seidenstraßenprojekts rührt sich
zunehmend Kritik: daran, dass die Chinesen zu wenig Arbeitsplätze für Einheimische
schaffen und weit überhöhte Preise ansetzen; dass ihre mit Karacho gebauten Bauprojekte
oft von geringer Qualität sind, außerdem
umweltschädlich und wenig nachhaltig. Immer häufiger gibt es in afrikanischen und zentralasiatischen Ländern Demonstrationen gegen die chinesischen Unternehmer und ihre Arbeiterlegionen. Und auch in
China selbst wird im Internet kritisch
gefragt, ob man die Seidenstraßenmilliarden nicht besser im eigenen Land investieren solle.
All dies scheint Xi Jinping nun aufgenommen haben. Er vollführte, was Australiens
ehemaliger Premierminister Kevin Rudd,
ein ausgewiesener China-Fachmann, einen “policy
refresh” nennt: Xi passte sein Vorgehen an, um China aus der
Schusslinie zu nehmen und die Kritiker zu besänftigen.
Vor 37 Staats- und Regierungschefs und 5.000
Delegierten aus 150 Ländern schwelgte Xi beim zweiten BRI-Forum in der vergangenen Woche
nicht mehr in Visionen über die großartige, Länder und Kontinente verbindende
Wirkung seiner Seidenstraße. Stattdessen ging er, wenn auch indirekt, auf die
laut gewordene Kritik ein. Er versprach, China werde seine Zusagen und Verpflichtung
getreulich einhalten; es werde den Schutz des geistigen Eigentums verstärken, Handelsmarken wie Geschäftsgeheimnisse
schützen und Ideendiebstahl bekämpfen; zudem wolle es den Marktzugang
erweitern und die Negativlisten drastisch kürzen, die Zölle weiter senken und
seine Einfuhren massiv erhöhen; und nicht zuletzt werde künftig ein neues
Verfahren die Kreditbelastungsfähigkeit
möglicher Partner prüfen. Auch sollen die privaten Unternehmen wieder stärker
in das Großprojekt eingebunden werden.
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