Kurz vor Beginn des sogenannten Westbalkan-Gipfels, den sie zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron leitet, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die beiden Konfliktparteien Serbien und Kosovo zum Dialog aufgerufen. “Fortschritte sind nur möglich, wenn einzelne Staaten nicht gegeneinander arbeiten”, sagte sie. Es sei falsch, wenn Serbien die Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz nicht anerkennen will – genauso wie es falsch sei, dass Kosovo Zusatzzölle gegen die Einfuhr serbischer Waren verhängt.
Zugleich machte Merkel deutlich, dass es bei dem Treffen im Kanzleramt nicht um eine Beschlussfassung gehe, sondern um ein Ausloten positiver Entwicklungen in der Westbalkanregion. Macron ergänzte in einem gemeinsamen Statement vor der Presse: “Wir haben nicht die Absicht, Belgrad und Pristina eine Lösung
vorzuschreiben”. Man wolle aber alle Optionen prüfen, die Debatte
versachlichen und einen erneuten Dialog beider Seiten auf den Weg
bringen.
“Wir sind in Brüssel etwas ratlos”
Dass die Kanzlerin hier die Initiative ergriffen hat, stößt nicht überall auf Verständnis. “Wir sind in Brüssel etwas ratlos, welches Ziel die Bundeskanzlerin mit der Balkan-Konferenz in Berlin verfolgt”, sagte der SPD-Europapolitiker Knut Fleckenstein. Zwar sei es grundsätzlich gut, wenn die Kanzlerin die EU dabei unterstützt, den Versöhnungsprozess voranzubringen und den Ländern des westlichen Balkans eine Zukunftsperspektive zu bieten – “gern mit einem deutsch-französischen Motor, der für Antrieb sorgt”. Allerdings erstaune der Zeitpunkt so kurz vor der Europawahl. “Vorherige Konsultationen wären sicher auch für sie hilfreich gewesen.”
Unverhohlener formulierte es der Präsident des Kosovo: Er hält eine Lösung nur unter der Vermittlung der USA für möglich. “Ohne die USA wird es keinen Dialog, keine Verhandlungen und kein Abkommen geben”, sagte Hashim Thaci in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. “Die EU ist nicht geeint in diesem Prozess”, betonte er. Die führenden EU-Staaten
könnten sich nicht auf eine einheitliche Linie verständigen.
Kosovo vermisst klare Verhandlungslinie der EU
Vor allem deshalb dämpfte Thaci die Erwartungen an das Treffen. “Ich erwarte keine Wunder”, sagte er – es sei denn, Serbien würde die Unabhängigkeit des Kosovo endlich anerkennen. Er werde deshalb Merkel und Macron bitten, den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic davon zu überzeugen, diesen Schritt zu gehen. Geschehe dies nicht, “wird das Treffen in Berlin nicht sehr hilfreich sein”.
Das Kosovo hatte sich 2008, knapp zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs, für unabhängig erklärt. Anerkannt wird das Land von den USA und zahlreichen EU-Staaten, darunter auch Deutschland. Serbien – genau wie seine Schutzmacht Russland – hat dies bislang verweigert und verstellt sich damit weitere Verhandlungen über einen EU-Beitritt. Die Aussöhnung mit der einstigen Provinz ist für die Kommission in Brüssel die zentrale Bedingung für einen Erfolg der seit 2014 laufenden Gespräche.
Merkel und Macron hatten nun die Staats- und Regierungschefs von Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Kosovo, Montenegro, Serbien und Slowenien ins Kanzleramt geladen, um Lösungsmöglichkeiten für diesen Konflikt auszuloten. Zu Beginn des Treffens, zu dem auch die für die Vermittlung im Kosovo-Konflikt zuständige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini auf der Gästeliste stand, hoben die Kanzlerin und der Präsident das Beispiel Mazedoniens hervor. Die frühere jugoslawische Republik wurde erst im Februar in Nordmazedonien umbenannt, der Konflikt mit Griechenland konnte befriedet werden.
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