Warum scheitern so viele Gespräche über Rassismus? “Die Antwort” hat mit der Journalistin Ferda Ataman über problematische Begriffe und Alternativen zu ihnen gesprochen, mit der Trainerin und Aktivistin Tupoka Ogette über Strategien, wie man Rassismus am besten anspricht – und mit der britischen Autorin Reni Eddo-Lodge über die Frage, ob es Gespräche über Diskriminierung gibt, die man besser nicht führt.
“Das wurzelfreie Dasein ist ein Privileg von weißen Deutschen”
Rassismus in der Sprache beginnt nicht erst bei Schimpfwörtern wie dem N-Wort, sagt die Journalistin Ferda Ataman.
“Wir
sind in Deutschland besessen von Wurzeln. Bei jeder Gelegenheit reden
wir darüber, welche Herkunft Menschen haben oder welchen Stämmen sie
angehörigen. Zum Beispiel wenn es heißt, jemand habe ‘koreanische
Wurzeln’ oder sei ‘türkischstämmig’. Ich selbst – in Stuttgart geboren, in
Nürnberg aufgewachsen – werde auf Panels oft so vorgestellt: Ferda
Ataman ist eine Journalistin mit türkischem Migrationshintergrund. Ein
Michael Müller neben mir wird nicht mit Wurzeln oder Hintergründen
vorgestellt, sondern nur mit seinem Beruf und seinen Kompetenzen. Das
wurzelfreie Dasein ist ein Privileg von weißen Deutschen. Viele glauben
offenbar noch, dass die ausländischen Vorfahren eines Menschen viel über
ihn aussagen. Und dass sie am Aussehen oder Namen erkennen, wer Deutsch
ist und wer Ausländer. Das finde ich rückständig.
Deshalb würde ich Moderatorinnen und Moderatoren empfehlen,
Fremdzuschreibungen zu vermeiden und die Gäste einfach zu fragen: Wie
möchten Sie vorgestellt werden? Und auch dazu raten, sich selbst zu
hinterfragen: Für wen verwende ich Begriffe wie ‘Wurzeln’? Wen frage ich
nach der Herkunft und wen nicht? Warum behandle ich nicht alle gleich?
Rassismus
in der Sprache kommt oft versteckt daher und nicht nur, wenn jemand
rassistische Schimpfwörter wie das N-Wort benutzt. Als Neue Deutsche
Medienmacher wollen wir sensibilisieren: Sprache kann ausgrenzend sein,
auch ohne dass man jemanden bewusst ausschließen will. Wir haben ein Glossar mit Formulierungshilfen
veröffentlicht, in dem wir Begriffe erklären und Vorschläge für die
Berichterstattung machen. ‘Migranten’ als Synonym für ‘Menschen mit
Migrationshintergrund’ ist zum Beispiel falsch, denn nicht alle
Migrationshintergründler sind eingewandert. Was auch häufig falsch
gemacht wird, sind sprachliche Gegenüberstellungen wie ‘Muslime und
Deutsche’ oder ‘Migranten und Deutsche’. Genau genommen sind das keine
Gegensätze, denn viele Menschen sind beides zugleich. Mit solchen
Formulierungen bürgert man aber Musliminnen und Migranten pauschal aus.
Korrekt müsste es heißen ‘Muslime und Nichtmuslime’ oder ‘Migranten und
Menschen ohne Migrationserfahrung’.
Wenn wir über Rassismus sprechen, sollten wir das Kind beim Namen
nennen und auch ‘Rassismus’ sagen – ‘Fremdenfeindlichkeit’ oder
‘Ausländerfeindlichkeit’ taugen als Synonyme nicht und sind
problematische Begriffe. Kein Neonazi fragt zur Sicherheit nochmal nach,
bevor er zuschlägt, ob man wirklich fremd ist oder in Deutschland lebt.
Außerdem richtet sich die Ablehnung ja nicht gegen alle Menschen aus
dem Ausland: weiße Holländer, US-Amerikaner oder Schweizer sind
in der Regel keine Angriffsziele. Deshalb: Wer ‘Rassismus’ sagt,
benennt das Problem. Wer ‘Fremdenfeindlichkeit’ sagt, übernimmt die
Sicht der Täter.
Oft werden Begriffe wie ‘Fremde’ und ‘fremde Kulturen’ verwendet,
ohne groß darüber nachzudenken. Aber meistens ist es eine rassistische
Kategorie, die nichts mit ‘fremd’ im eigentlichen Wortsinn zu tun hat.
Ein absolutes Unwort ist ‘Überfremdung’, das im letzten Jahr sehr
inflationär benutzt wurde. Tut mir leid, aber für mich klingt das nach
einem Code für ‘Deutschland den Deutschen’.
Es geht in Gesprächen aber nicht nur um Begrifflichkeiten. Der
Rassismus schimmert oft auch in den Aussagen durch. Wer pauschal sagt,
‘die Muslime’ seien nicht demokratiefähig und gegen die Gleichstellung
von Mann und Frau, äußert ein antimuslimisches Vorurteil. Auch eine
vermeintlich nette Äußerung wie ‘Ihr Asiaten seid immer so höflich’ ist
Ausdruck einer rassistischen Weltsicht, weil sie Menschen aufgrund
bestimmter Merkmale bestimmte Eigenschaften zuspricht. Es geht bei
Rassismus nicht darum, wie es gemeint ist, sondern welchen Effekt es
hat. Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen über bestimmte Gruppen
von Menschen sind immer fragwürdig.”
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