Eine sichere, würdevolle und permanente Rückkehr Geflüchteter nach Syrien ist heute und auf absehbare Zeit nicht möglich. Muriel Asseburg über die Situation vor Ort und Wege, die Perspektiven für Flüchtlinge zu verbessern:
Der Bürgerkrieg in Syrien ist entschieden. Das Regime hat mit Unterstützung seiner Verbündeten gesiegt und im Laufe des
letzten Jahres rund zwei Drittel des Territoriums zurückerobert. Die
oppositionellen Rebellen sind überwiegend aufgerieben, die nach wie vor
Kampfbereiten großenteils im Nordwesten des Landes konzentriert. Im März
dieses Jahres wurde die letzte Bastion des “Islamischen
Staates” befreit.
Schon im Herbst 2017 hatte das Regime verkündet, dass die Phase des
Wiederaufbaus beginne. Doch dieser läuft schleppend an – in den Augen des Regimes liegt ein Grund dafür in den von der EU und den USA verhängten
Sanktionen.
Daher sucht die syrische Führung das Interesse der Aufnahmestaaten an
einer baldigen Rückkehr der Flüchtlinge zu nutzen, um seine Interessen –
internationale Anerkennung und eine Aufhebung oder zumindest
Abmilderung von Sanktionen – durchzusetzen. Moskau hat seinerseits
versucht, die Flüchtlingsfrage zu instrumentalisieren, um die Europäer
für die Finanzierung des Wiederaufbaus zu gewinnen. Gleichzeitig
verwehrt sich Damaskus gegen jegliche Unterstützung, die an Bedingungen
geknüpft ist, sei es für die Rückführung von Flüchtlingen, sei es für den Wiederaufbau.
Nur ein Bruchteil der Syrer wagt die Rückkehr
Tatsächlich wagen Geflüchtete die Rückkehr,
vor allem aus den Nachbarländern Libanon, Jordanien, Irak und Türkei,
wo sie teils in äußerst prekären und perspektivlosen Umständen ihr Leben
fristen. In den letzten beiden Jahren hat ihre Zahl deutlich
zugenommen. Nach Angaben von UNHCR kehrten 2017 über 50.000, 2018 über 56.000 Geflüchtete nach Syrien
zurück. Im ersten Quartal 2019 waren es bereits knapp 22.000.
Allerdings: Nicht in jedem Fall handelt es sich dabei um eine
freiwillige Rückkehr. Auch macht ihre Zahl bislang nur einen Bruchteil
an der Gesamtzahl der Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge aus: Derzeit
sind 5,6 Millionen syrische Flüchtlinge und 6,2 Millionen
Binnenflüchtlinge bei UNHCR registriert.
Die Zunahme der Reisen von Geflüchteten ins Heimatland sollte nicht
zu der Annahme verleiten, eine sichere, würdevolle und permanente
Rückkehr nach Syrien sei nunmehr möglich. Zu Recht sehen UNHCR, die
Internationale Organisation für Migration (IOM) und weitere
Hilfsorganisationen die Bedingungen dafür heute und auf absehbare Zeit
als nicht gegeben. Dies entspricht auch der Lageeinschätzung der
Bundesregierung. Entsprechend betont diese zwar, dass syrische
Staatsangehörige nicht zur freiwilligen Ausreise ermutigt würden.
Gleichwohl setzt sie finanzielle Anreize: 2017 unterstützte sie eine an
den Verzicht des Aufenthaltstitels gekoppelte freiwillige Ausreise in 199, 2018 in 466 und im ersten Quartal 2019 in 77 Fällen.
Syrien ist nicht befriedet
Doch Syrien ist nicht befriedet. Derzeit eskaliert die Gewalt
im Nordwesten des Landes. In der Provinz Idlib droht, trotz der
russisch-türkischen Einigung auf eine Deeskalationszone vom September
2018, eine Offensive des Regimes. Dort sind dieses Jahr allein bis Mitte
April rund 100.000 Menschen
vor den sich intensivierenden Kampfhandlungen geflohen. Auch viele
andere Landesteile sind nicht sicher – selbst die unter Kontrolle des
Regimes und seiner Verbündeten.
Zudem haben die Kämpfe die Versorgungsinfrastruktur des Landes
schwer in Mitleidenschaft gezogen. Vielerorts sind
Gesundheitseinrichtungen, die Trinkwasser- und Stromversorgung sowie
Schulen zum großen Teil zerstört worden. Nahezu die Hälfte aller
Krankenhäuser und Erstversorgungseinrichtungen ist entweder gar nicht
oder nur eingeschränkt funktionsfähig. Große Teile des Landes sind zudem
durch Sprengfallen und nicht explodierte Munition verseucht. Nach
Angaben von Mine Action Syria sind 10,2 Millionen Syrerinnen und Syrer dem Risiko von Explosionen ausgesetzt.
Etliche haben außerdem ihre Existenzgrundlage verloren. 11,7 Millionen
der im Land Verbliebenen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Verloren
haben viele ihren Besitz nicht nur in Folge von kriegsbedingten
Zerstörungen und Plünderungen. Auch sind viele enteignet worden oder von
Enteignung bedroht. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die ihre
Besitzansprüche nicht geltend machen können, etwa weil sie aus
informellen Siedlungen stammen und nicht über die entsprechenden
Dokumente verfügen, weil sie im Ausland sind und ihre Ansprüche nicht
fristgerecht geltend machen können oder weil sie befürchten müssen,
verhaftet zu werden, sobald sie sich an die Behörden wenden. Zudem wird
vielen Geflüchteten vom Regime die Rückkehr in ihre im Zuge der
Wiedereroberung von oppositionellen Kräften “gesäuberten” Heimatorte
verwehrt.
Auf Fahndungslisten des Geheimdienstes
Hinzu kommt, dass eine Rückkehr nach Syrien grundsätzlich ein hohes
Risiko birgt. Selbst wenn zum Zeitpunkt der Flucht aus Syrien keine
politische Verfolgung vorlag: Menschen, die aus Oppositionsgegenden
stammen, werden als Verräter, Oppositionelle oder Terroristen gesehen.
Im Sommer 2017 betonte Präsident Baschar al-Assad die in seinen Augen
positiven Effekte von Krieg, Flucht und Vertreibung: Syrien sei nun eine
homogenere und gesündere Gesellschaft. Auch drohen Regimerepräsentanten damit, dass drei Millionen geflüchtete
Syrerinnen und Syrer auf den Fahndungslisten des Geheimdienstes stünden
und bei Rückkehr mit Konsequenzen zu rechnen hätten. Informationen der
Behörden, ob Personen gesucht werden oder nicht, sind nicht zuverlässig.
Willkürliche Verhaftungen
und das Verschwindenlassen durch Regimekräfte, aber auch durch die
kurdische PYD und jihadistische Gruppierungen dauern fort. Überdies
werden nach wie vor Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren zwangsrekrutiert.
Nicht zuletzt hat der UNHCR keinen ausreichenden Zugang zu allen
Landesteilen, um die Sicherheit und Versorgung von Rückkehrenden zu
gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, Geflüchtete aus
Syrien durch finanzielle Anreize zur Rückkehr und zum Verzicht auf ihren
Aufenthaltstitel zu ermutigen. Im Vordergrund deutscher Politik sollte
stattdessen stehen, Geflüchteten dabei zu helfen, ihr Leben in der neuen
Heimat Deutschland aufzubauen. Deutschland sollte ferner die
Aufnahmestaaten in der Region dabei unterstützen, besser für die
Flüchtlinge zu sorgen und diesen zumindest mittelfristige Perspektiven
zu bieten. Schließlich sollten durch humanitäre Hilfe, die sich an der
Bedürftigkeit, nicht an der Loyalität von Bevölkerungsgruppen
orientiert, die Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben in Syrien
geschaffen werden.
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