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Hochzeit: Willst du das?

Beschäftigt man sich mit der Frage, wie heute geheiratet wird, dann will
man, als der moderne, aufgeklärte Mensch, für den man sich hält, im Grunde sofort den Kopf auf
den Schreibtisch fallen lassen, vielleicht sogar ein paar Mal hintereinander. Da man aber
weiß, dass das falsch wäre (freie Gesellschaft, jeder darf hier heiraten, wie er will et
cetera) und vielleicht sogar arrogant, setzt man sich stattdessen gerade hin, beschäftigt sich
weiter und gelangt dabei relativ unkompliziert zu folgendem Befund: Trotz fortschreitender
Gleichstellungsbemühungen und dem gesellschaftlich immer breiter akzeptierten Bestreben, so
etwas wie faire Verhältnisse zwischen Männern und Frauen zu erreichen, trotz eines
gesellschaftlich immer breiter rezipierten feministischen Diskurses (T-Shirts mit
“The
future is female”

gibt es bereits ab zehn Euro), benehmen sich Frauen und Männer am Tag
der Hochzeit, ihre Geschlechterrollen betreffend, auffallend traditionell – und zwar auch
solche, die sich ebenfalls für modern und aufgeklärt halten.

Auf Grundlage des vorhandenen Materials (Hochzeitssendungen, Internetauftritte von Hochzeitsdienstleistern, Hochzeits-Accounts auf Instagram, Hochzeitsmessen, Unterhaltungen mit Menschen, die bald eine Hochzeit feiern) lässt sich sagen, dass es vor allem Frauen sind, denen man die eigentlich auf den ersten Blick bekloppte Idee vom “schönsten Tag des Lebens” vermitteln möchte, was den naheliegenden Grund hat, dass bei ihnen cashmäßig am meisten rauszuholen ist, weil sie für die Schönste-Tag-des-Lebens-Fiktion empfänglicher sind.

Und außerdem brauchen sie, um dieses Märchen zu realisieren, eben auch eine ganze Menge, was Geld kostet: Sie brauchen Make-up (“Elfengleich, zart und schön – so wollen Bräute am Tag ihrer Hochzeit aussehen”,
brigitte.de),
eine Frisur (“Lassen Sie sich von den Frisurentrends für Ihren großen Tag als Braut inspirieren”,
glamour.de)
und einen angemessenen Körper (#bridetraining), sie brauchen Schuhe (“Besonders schön symbolträchtig: Die Pumps, die Tom Ford erdachte – mit einem Schloss am Knöchel”,
vogue.com)
und natürlich ein Kleid.

Speziell beliebt sind die Modelle “Prinzessin” und “Meerjungfrau”. In beiden Fällen verkleidet sich die Frau mithilfe eines bodenlangen, weißen Brautkleids, das im Idealfall aussieht wie das von Kate oder Meghan oder von Amal, und erzählt damit die alte Geschichte von der Frau als schutz- und erlösungsbedürftigem Wesen. Der Job der unschuldigen, passiven Prinzessin beziehungsweise Meerjungfrau ist es, insbesondere am Tag der Hochzeit, vor allem dekorativ zu sein, sie kommt erst durch den Antrag ihres Mannes und die anschließende Hochzeit zu gesellschaftlichem Rang.

Bei der Recherche für diesen Text entwickelte sich auf einer Brautmesse folgender Dialog zwischen einem Hochzeitsfotografen und zwei Frauen:

Fotograf: So, wer ist denn die Glückliche?

Bride-to-be (sagt man so): Ich.

Fotograf zur Begleiterin: Jetzt gucken Sie nicht so traurig, Sie bekommen das alles auch noch, Sie müssen nur dran glauben.

Im Leben einer Frau, das hat man relativ schnell kapiert, wenn man sich ein bisschen mit der Materie befasst hat, ist die Hochzeit der Höhepunkt, was bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, wie viele Ehen geschieden werden (etwa jede dritte, in Großstädten jede zweite), und wenn man sich außerdem vergegenwärtigt, was für viele Frauen auf die Hochzeit folgt: Bekommen sie Kinder, sind es in der Regel sie, die zu Hause bleiben, danach in Teilzeit arbeiten, umsonst den Großteil der Familienarbeit erledigen, um schließlich, nach vollzogener Scheidung, weniger Rente zu bekommen. Vor diesem Hintergrund wirkt der Glaube an die Geschichte vom “schönsten Tag des Lebens” nicht nur traurig, sondern auch völlig irrational, kindisch, naiv und ja, etwas dümmlich – also wie all jene Attribute, die man klischeehaft mit einem regelmäßig aufgerufenen Frauenbild assoziiert.

Die Hochzeit und der damit verbundene Markt bilden eine Art Geschlechterstereotypen-Konzentrat ab, bei dem Männer nur am Rande eine Rolle spielen. Der Bräutigam wird als der sich widerwillig den Irrationalitäten seiner zukünftigen Frau Beugende gezeichnet (tja, so sind sie halt, die Frauen), der sich zur Hochzeit hat breitschlagen lassen. Einzig beim sogenannten Junggesellenabschied, jenem ursprünglich aus Amerika beziehungsweise Großbritannien stammendem Ritual, stehen die Männer im Fokus der Dienstleister. Gemeinsam mit ihren Freunden (der JGA wird geschlechtergetrennt vollzogen) dürfen sie einen Abend lang machen, wovon Männer angeblich träumen (trinken, Fleisch, Stripperin), bevor sie für immer unfrei sind. Folgerichtig wird der künftige Ehemann in Gefängniskleidung gesteckt, wenn seine Freunde das witzig finden.

Jetzt könnte man all das als Leser dieses Textes natürlich entspannt von sich weisen und glauben, die beschriebenen Hochzeitsgewohnheiten würden ausschließlich von Menschen gepflegt, die Vox gucken und keinen Geschmack haben, aber das stimmt nicht. Vielmehr ist es so, dass Menschen, die glauben, sie hätten Geschmack (alle meine Freunde und deren Freunde), im Grunde das gleiche Programm durchziehen, nur halt, na ja, vermeintlich geschmackvoller, etwas dezenter und “individueller” (die entscheidende Vokabel überhaupt im Hochzeits-Game). Dieser Distinktionsgewinn ist allerdings gar nicht so sehr Ergebnis einer eigenen gedanklichen Leistung, sondern vor allem eine Frage des Geldes. Man heiratet also in irgendwelchen brandenburgischen Gasthöfen mit “marodem Charme”, trägt ein Vintage-Kleid und fährt beim Junggesellenabschied nicht Quad, verbringt ihn aber trotzdem trinkend unter Männern, vielleicht auf einem Landgut in der Toskana, wobei die Message exakt die gleiche ist, es liegt nur ein Sepia-Filter darüber.

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