Wer kennt es
nicht: Das Meeting war schrecklich, die Kollegen entsetzlich nervig, und
auszuhalten war das Ganze nur, weil man unter dem Tisch Nachrichten schrieb und
Durchhalteparolen zurückbekam – von anderen Kollegen. Kollegen gehören zu den Menschen, mit denen man als
Erwachsener die meiste Zeit verbringt, ohne sie sich ausgesucht zu haben. Zu den Fragen nach der neuen,
digitalen Arbeitswelt, die in letzter Zeit verstärkt diskutiert werden, gehört
auch die, was mit der Kollegenschaft passieren wird. Wird es feste Kollegen
überhaupt noch geben oder werden wir, gesteuert von Apps, weitgehend isoliert
arbeiten, allenfalls in unverbindlichen, ständig wechselnden Netzwerken?
Laut Duden meint der Begriff “Kollege” einerseits jemand,
der im gleichen Betrieb arbeitet, und
andererseits jemand, der im gleichen Beruf
arbeitet. Die Kollegenschaft in Betrieben könnte sich massiv verändern, wenn
sich deren Struktur durch digitale Kommunikations- und Steuerungstechniken
verschieben oder gar auflösen würden. Dass wir nur noch in losen Netzwerken
oder Schwärmen arbeiten, ist aber, entgegen so mancher visionärer Prognosen, für viele Tätigkeitsfelder nicht zu erwarten.
Denn oft benötigt man genau die Form von Zusammenarbeit, die eben nur in relativ
festen Organisationen, unter Kollegen, möglich ist.
Kollegenschaft im Betrieb bedeutet oft auch Konkurrenz
Viele Formen der Zusammenarbeit, etwa in einem Forscherteam,
verlangen Verlässlichkeit und die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung,
auch und gerade dann, wenn man nicht alle Formen der Hilfeleistung
quantifizieren und eins zu eins aufrechnen kann. Dabei hilft es, wenn man sich kennt
und als Team eingespielt ist. Man bekommt die Stärken und Schwächen der anderen
mit und lernt, sie gegenseitig auszugleichen. Das Ineinandergreifen
unterschiedlicher Arbeitsschritte, das gemeinsame Entwickeln von Ideen, die
Freude daran, zusammen zu arbeiten,
kann ganz besondere Formen der Solidarität entstehen lassen. Dass ein
Algorithmus die Zusammenarbeit zwischen Menschen so steuern könnte, wie es im
spontanen Miteinander unter Kollegen möglich ist, ist nicht zu erwarten.
Allerdings, und das ist die Crux: Kollegenschaft im Betrieb bedeutet
oft auch Konkurrenz – um Positionen, Geldtöpfe, Anerkennung. Man arbeitet
zusammen, aber an der einen oder anderen Stelle möchte man eben doch die eigene
Idee durchsetzen, das besonders interessante Projekt bearbeiten, die
Beförderung erhalten. Gute Führung kann potenzielle Konflikte moderieren, aber
aus der Welt schaffen kann sie sie nicht. Kollegialität im positiven Sinne bedeutet
dann, im Umgang mit derartigen Problemen fair zu bleiben. Das werden uns auch
in Zukunft keine Algorithmen abnehmen können!
Es hilft oft, dass es neben den Kollegen im Sinne der
Betriebszugehörigkeit auch die Kollegen im Sinne der Berufsgruppe gibt. Das
sind diejenigen, die die eigene Probleme verstehen und – nicht zuletzt dank digitaler
Kommunikationstechnologien – einem das entscheidende aufmunternde Wort zurufen
können, wenn es mit den Kollegen im Betrieb gerade nicht so gut läuft. Und hier
findet man oft auch diejenigen, die Kollegen in einem tieferen Sinn sind: die
man als Vorbilder dafür betrachtet, wie der eigene Beruf gut ausgeübt werden kann.
Der Philosoph Alasdair MacIntyre hat eine begriffliche
Unterscheidung eingeführt, die hier hilfreich ist: die zwischen Institutionen
und Praktiken. Institutionen, das sind die äußerlichen Organisationen, in denen
Arbeit stattfindet, in denen es um bürokratische Regeln, Macht und Geld geht.
Bei Praktiken dagegen geht es um die Werte, die durch eine bestimmte Tätigkeit
verwirklicht werden sollen: In der Medizin geht es um die Gesundheit von
Menschen, im Handwerk um die Bereitstellung und Bewahrung unserer materiellen
Infrastruktur, in der Forschung darum, neue Einsichten zu generieren, etc.
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