/Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Teilzeit ist nicht nur für die Frauen da

Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Teilzeit ist nicht nur für die Frauen da

Ich mache das, was viele Frauen machen: Ich
habe eine feste halbe Stelle, dazu arbeite ich als freie Journalistin, insgesamt
sind das 30 bis 35 Stunden die Woche. Ich habe einen Sohn, bekomme bald ein
zweites Kind und zähle damit zu den sogenannten Teilzeitmüttern. Ich bin nichts
Besonderes. Etwas Besonderes ist dagegen mein Freund und der Vater meiner
Kinder. Er macht das Gleiche wie ich: arbeitet 20 Stunden fest in einer
Redaktion, daneben als freier Journalist – ein Teilzeitvater also. Und damit gehört
er zu einer Minderheit. Frauen, die arbeiten, minderjährige Kinder haben, in
Deutschland und in einer Partnerschaft leben, sind laut Mikrozensus aus dem
Jahr 2017 zu 71 Prozent in Teilzeit beschäftigt. Von den Vätern sind es sechs
Prozent.

Warum ziehen die meisten Elternpaare gemeinsame
Teilzeit als Modell gar nicht in Betracht? Meine Erfahrung sagt: Für Familien,
die nicht darauf angewiesen sind, dass beide Vollzeit arbeiten, ist diese
Lösung ideal.

Frauen beschweren sich oft, dass ihre
Männer nicht in der Lage seien, Babys zu trösten, Kleinkinder ins Bett zu
bringen, dafür zu sorgen, dass die Kinder pünktlich und ausgerüstet im
Kindergarten oder in der Schule landen. Männer beschweren sich oft, dass sie zu
wenig Zeit für ihre Kinder hätten, sich die Babys nur von der Mutter trösten,
die Kleinkinder nur von der Mutter ins Bett bringen ließen und sie selbst
überfordert damit seien, zu überblicken, was zur Ausrüstung eines Schul- oder
Kindergartenkindes gehört.

“Indem mein Freund und ich beide ungefähr gleich viel arbeiten, verdienen wir nicht weniger, als wenn einer sehr viel und der andere sehr wenig verdienen würde”.

Ines Schipperges, freie Journalistin

Frauen beschweren sich weiter, dass sie
bei der Arbeit nicht mehr ernst genommen würden, weil sie pünktlich um drei den
Rechner herunterfahren, um den Rest des Tages auf dem Spielplatz zu verbringen.
Eine Falle also, diese Teilzeitarbeit. Männer beschweren sich, dass sie unter
dem Druck der Versorgerrolle noch mehr arbeiten müssten und noch weniger Zeit
für die Familie hätten. Eine Falle auch die Vollzeitarbeit.

Indem mein Freund und ich beide ungefähr
gleich viel arbeiten, verdienen wir ungefähr gleich viel – und auch nicht
weniger, als wenn einer sehr viel und der andere sehr wenig verdienen würde. Wir
haben zusammen eine Wochenarbeitszeit von 60 bis 70 Stunden, was viele Er-100-Prozent-sie-50-Prozent-Paare
auch erreichen. Aber wir kennen die Bedürfnisse unseres Sohnes beide gleich
gut, erleben beide kleine Karriererückschritte, aber keinen großen Karrierezusammenbruch.
Wir wissen beide, wie es ist, sich nach einem stressigen Arbeitstag ums Kind zu
kümmern, haben aber auch beide den Luxus, sich an manchen Tagen auf eins konzentrieren
zu dürfen: auf die Arbeit oder aufs Kind.

“Männer, die in Teilzeit arbeiten würden, hätten die Macht, unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt zu verändern.”

Woran scheitert die gemeinsame
Teilzeitarbeit bei den meisten Familien? Teilzeit arbeiten zu können, ist ein
Recht
. Männer und Frauen haben es gleichermaßen. Es wurde – wie Elternzeit und
Elterngeld – hart erkämpft und wird von männlicher Seite doch oft verschmäht. Dabei
hätten Männer, die dieses Recht in Anspruch nehmen, die Macht, unsere
Gesellschaft und unsere Arbeitswelt zu verändern. Und zwar mehr Macht als die
Frauen, denen diese Macht immer wieder als Pflicht auferlegt wird: Frauen, tut
was, arbeitet mehr, arbeitet weniger, haltet den Männern den Rücken frei, baut
eure eigene Karriere auf, seid für eure Kinder da, macht ihr euch denn gar
keine Sorgen um eure finanzielle Sicherheit…

Es wäre so wichtig, dass Männer
selbstbewusst für ihr Recht und ihren Wunsch einstehen, neben der Arbeit
genügend Zeit für die Familie zu haben. Würden viele Männer Teilzeit arbeiten, würde
den Arbeitgebern auch irgendwann nichts anderes übrigbleiben, als Führungsjobs
in Teilzeit zu vergeben – wovon wiederum beide Geschlechter profitieren würden.

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