Ihr Gesicht ist grau und von scharfen Kanten, Scharten und Gräben
durchzogen. Den Konventionen entspricht der Kopf, den die Künstlerin Natascha Süder Happelmann
so elegant auf ihrem Körper trägt, jedenfalls nicht. Er ist überdimensioniert – und aus Stein.
Mund, Ohren, Nase, Haare sieht man nicht, aber ungefähr dort, wo die Augen sein könnten, wurde
ein kleiner Schirm aus dem Stein gemeißelt, eine Monobraue.
In wenigen Wochen wird die Kunstwelt, zumindest die deutsche, über Natascha Süder Happelmann reden, denn sie darf den deutschen Pavillon auf der am 13. Mai eröffnenden Biennale in Venedig bespielen. Das gehört im hiesigen Kunstbetrieb zu den höchsten Ehren, die ein Künstler erfahren kann. So viel mediale Aufmerksamkeit wie im Pavillon in Venedig bekommt keine Einzelschau in den großen deutschen Museen. Der Pavillon hat Künstlerinnen und Künstler wie Hans Haacke, Tino Sehgal und Anne Imhof berühmt gemacht. Vielen wurde diese Repräsentationspflicht – und der Ausstellungsort mit seiner Nazi-Vergangenheit – aber auch zum Fluch.
Womöglich versteckte die Künstlerin, die für dieses Jahr von der Kuratorin Franciska Zólyom auserwählt wurde, deshalb bei der ersten Pressekonferenz im vergangenen Oktober ihren Kopf hinter der grauen Steinattrappe. Und gab sich diesen sonderbaren, lustigen Namen, der ein wenig an den bayerischen Ministerpräsidenten und an den Hampelmann erinnert. Neben ihr saß die Schauspielerin Susanne Sachsse, die unter dem Namen Helene Duldung als Sprecherin fungierte.
Die Steinmaske, der “angepasste” Name und die Sprecherin sind Teil eines Spiels, das Natascha Sadr Haghighian – so der bürgerliche Name der Künstlerin – mit den Medien und der kunstinteressierten Öffentlichkeit veranstaltet. So groß ist die Sehnsucht nach dem einen Namen, nach der Marke, nach dem Genie, lautet der indirekte Vorwurf, dass die Kunst selbst in den Hintergrund gerät.
Daher kann man die Künstlerin auch nicht offiziell treffen, sondern nur Gespräche im Hintergrund führen. Also besucht man die Kuratorin Franciska Zólyom in Leipzig, die dort seit mehreren Jahren die Galerie für Zeitgenössische Kunst leitet. Die Künstlerin, sagt die Kuratorin, sei nicht nur an der Problematisierung von Repräsentation, sondern auch sehr an Zusammenarbeit, an kollektiver Intelligenz interessiert. Das ist der Grund, warum an dem Projekt in Venedig gleich mehrere Komponisten und Musiker, Grafiker und Architekten beteiligt sind. Das Spiel mit der Maske dient also auch dazu, den sonst im Kunstbetrieb üblichen Vorgang umzudrehen: Die Heerscharen der Assistenten und Handwerker verschwinden nicht mehr hinter dem Namen der Ausstellenden, sondern rücken in den Vordergrund, werden beim Namen genannt. Der fremd klingende tatsächliche Name der Künstlerin hingegen wurde “integriert”, den deutschen Verhältnissen angepasst. Die Autokorrekturprogramme sollen keine Probleme haben. Auch die im Vorfeld verbreitete Biografie der Künstlerin ist übrigens Fiktion. Gleich mehrere Geburtsorte und -jahre werden angegeben: Budapest 1987, Teheran 1967, München 1979. Schon 2004 hatte Natascha Sadr Haghighian die Tauschbörse bioswop.net im Netz eingerichtet, mit deren Hilfe man sich einen Lebenslauf aus fremden Biografien collagieren kann. Still bröseln hier die scheinbar so festgeschriebenen Identitäten vor sich hin.
Bei so viel Auflösung und Versteckspiel darf man besorgt fragen, ob die Kunst sich hier nicht komplett in die distinguierte Heimlichkeit verabschiedet. Davor schützen jedoch die ästhetischen Erfahrungen, die Sadr Haghighian schafft. Auf der Documenta 13 etwa war es ein von ihr angelegter Trampelpfad durch die Karlsaue, der einen alternativen Weg zum Gang über die monumentale Treppe des dortigen Kriegerdenkmals eröffnete. Den Pfad entlangtappend, hörte man Esel, Ziegen, Hühner und Katzen im Gebüsch – die geisterhaften Stimmen kamen aus verborgenen Lautsprechern. Kasseler Bürger unterschiedlicher Herkunft hatten die Tiere nachgeahmt. Wer wollte, konnte sich hier Fragen zu Krieg, Erinnerung und Nationalismus stellen oder sich auch nur freudig wundern, wie unterschiedlich der Ruf eines Esels oder der eines Hahns wiedergegeben werden kann.
Ein wichtiger Teil des Kunstprojekts für Venedig ist schon öffentlich. Auf der Internetseite deutscher-pavillon.org sind zwei Filme zu sehen: Im ersten Video läuft Natascha Süder Happelmann mit ihrem Steinkopf auf Landstraßen durch Bayern, an mit Stacheldraht bewehrten Zäunen entlang, um vor schweren Stahltoren, Wachhäuschen und Schlagbäumen stehen zu bleiben und die kasernenartigen Bauten dahinter zu beobachten – soweit das mit einem Steinkopf geht. Dazu sind neben den Geräuschen der vorbeifahrenden Autos verschiedene Orchesterinstrumente zu hören, die allesamt versuchen, sich auf das A einzustimmen.
Im zweiten Video geht die Künstlerin über einen scheinbar endlosen, umgepflügten Acker, verweilt dann an – die Straßenschilder verraten es – apulischen Bundesstraßen und beobachtet stumm ein umzäuntes Fabrikgelände, in dem vermutlich Tomaten in Dosen abgefüllt werden. Zunächst sind die Aufnahmen mit elektronischer Musik unterlegt, dann hört man Sprechchöre von einer Demo in Italien für ein sofortiges Bleiberecht:
“Permesso di soggiorno, subito! Subito!”
Rechte, Wohnungen, Gesundheit fordert die Masse auf der Tonspur ein, während die Künstlerin buchstäblich versteinert auf die menschenleeren Verladeplätze des Agrarunternehmens starrt. Erst im Abspann wird angedeutet, welche Bedeutung die von der Künstlerin besuchten Orte haben: In Bayern stand sie vor den Toren der sogenannten Ankerzentren und Abschiebelager für Flüchtlinge, in Apulien aber an Straßenkreuzungen, an denen bei Unfällen im Sommer 2018 mehr als ein Dutzend Migranten starben, die unter sklavenähnlichen Bedingungen Erntearbeit geleistet hatten.
Wie kann man offene Geheimnisse wie die Kasernierung oder Ausbeutung von Flüchtlingen in der Kunst aufgreifen? Wie stellt man ein Gefühl von Verantwortlichkeit her? Wie zeigt man die Komplexität einer gesellschaftlichen Situation, ohne dabei zu kleinteilig, zu hermetisch oder aber zu plakativ zu werden? Das sind Fragen, die Natascha Süder Happelmann sich selbst und ihrem Kollektiv stellt. Ganz offensichtlich versucht sie Formen der Solidarisierung zu schaffen, ohne dass dafür alle gleich werden müssen. Wie die Orchestermusiker, die das A anspielen, mit ihren unterschiedlichen Instrumenten aber so verschieden klingen. Was wird in Venedig zu sehen sein? Die Künstlerin verstehe den deutschen Pavillon von seiner Idee her als eine Art Ruine, heißt es andeutungsreich. Es gibt was auf die Ohren, so viel ist sicher.
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