Wie sich die
Bilder gleichen. Scheinbar. Kairo, 11. Februar 2011, Khartum, 11. April 2019:
Abertausende jubeln und singen auf den Straßen. Das Undenkbare ist passiert,
der Diktator ist gestürzt, nach dreißig Jahren. So lange hatten sie geherrscht,
Ägyptens Hosni Mubarak und Sudans Omar al-Baschir, beide ehemalige Armeeoffiziere.
Als in Kairo nach Mubaraks Abgang ein Militärrat die Regierungsgeschäfte
übernahm, warnten einige wenige Aktivisten, die Macht sei in den gleichen Händen
geblieben. Ihre Rufe gingen unter im Taumel der Euphorie. Die meisten von ihnen
sind heute im Gefängnis, im Exil oder schweigen unter der neuen Diktatur.
Als vergangene
Woche in Khartum Armee und Sicherheitsdienste Baschir entmachteten und durch
einen Militärrat ersetzten, wuchs die Wut der Demonstranten. “Die Revolution
hat erst begonnen”, skandierten sie. Sie fordern die Einsetzung einer zivilen
Regierung und halten weiter Straßen und Plätze besetzt. Prompt räumte der Chef
des Militärrats, Verteidigungsminister Awad Ahmed Ibn Auf, ein enger
Baschir-Gefährte, nach nur einem Tag seinen Platz – für einen anderen
General, Abdel Fattah Burhan. Der hob umgehend die Ausgangssperre auf,
kündigte die Freilassung verhafteter Demonstranten und den Bruch mit dem alten
Machtapparat an. Die Protestbewegung, inzwischen angeführt von einem
Dachverband der Gewerkschaften, geht trotzdem weiter – in der Überzeugung, dass
ebendieser Machtapparat nur auf Zeit spielt.
Sudan befindet sich nun, ähnlich wie Algerien, im prekären Zustand der
Ungewissheit und des Machtvakuums. Wird es ein zweites Libyen, ein zweites
Ägypten oder ein zweites Tunesien, fragen sich ausländische Diplomaten und
Beobachter.
Bloß helfen solche
Analogien eben nicht weiter. Sudan ist wie all die anderen Länder im Umbruch
ein Fall für sich, und der vorläufige Erfolg der Protestbewegung ist einzigartig.
Denn unter den nordafrikanischen und arabischen Autokraten zählte Omar al-Baschir zu den schlauesten und skrupellosesten Überlebenskünstlern. Ob Handelsembargos,
Drohungen aus Washington oder ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGh) wegen Völkermords in der Provinz Darfur – Baschir
hatte über die Jahrzehnte allem internationalem Druck geschickt widerstanden,
ihn oft auch für sich zu nutzen gewusst. Rebellionen und Brotaufstände, ein
Dauerzustand vor allem in den vernachlässigten Provinzen der Peripherie, schlug
er mit seinem allgegenwärtigen Sicherheitsapparat brutal nieder. Oder er nahm
ihnen den Wind aus den Segeln, in dem er einzelne Gruppen mit Geld und
Machtteilhabe auf seine Seite lockte.
Gerade auf dem
internationalen Parkett lief es für ihn zuletzt immer besser: Die USA hatten
bereits unter Barack Obama begonnen, ihre Wirtschaftssanktionen zu lockern. Der
Sudan war Anfang der Neunziger in Washington als “Sponsor terroristischer Gruppen”
und wegen der Kriegsverbrechen im damaligen Süden und später in Darfur auf die
Liste der Schurkenstaaten geraten. Die CIA hielt den sudanesischen Geheimdienst
als Informationsquelle jedoch immer für wertvoll – eine Einschätzung, der sich
nicht nur Obama, sondern auch Donald Trump anschlossen.
Die EU hat Baschir wegen des internationalen Haftbefehls zwar offiziell
geächtet. Doch Sudan liegt auf der Route ostafrikanischer Flüchtlinge und
Migranten nach Europa. Also hofierte Brüssel das Regime hinter den
diplomatischen Kulissen seit einigen Jahren wieder. Auch zu Saudi-Arabien und
den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) hatte Baschir, einst Verbündeter der
in Riad und Abu Dhabi verhassten Muslimbrüder, gute Beziehungen aufgebaut. Khartums
berüchtigte Reitermilizen aus dem Krieg in Darfur, die Dschandschawid, kämpfen inzwischen unter anderem Namen für die saudisch
geführte Koalition im Jemen – gegen gutes Geld aus dem Golf. Gleichzeitig
hielt Baschir die Finanzkanäle nach Katar offen, das mit den anderen
Golfstaaten in Dauerfehde liegt. Er fühlte sich sicher genug, um mit einer
Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit ab 2020 durchzusetzen.
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