/Notre Dame: “Wir können von Glück reden, dass die Gesamtstruktur noch steht”

Notre Dame: “Wir können von Glück reden, dass die Gesamtstruktur noch steht”

Am Montagabend ist in der Kathedrale Notre-Dame in Paris ein Feuer ausgebrochen. Der Brand brachte den mittleren Kirchturm zum Einsturz und zerstörte Teile des Dachstuhls. “Wir werden diese Kathedrale gemeinsam wieder aufbauen”, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am selben Abend. Wolfram Jäger, Professor für Tragwerksplanung an der Technischen Universität Dresden und als Statiker am Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche beteiligt, erklärt, wie das gehen könnte.

ZEIT ONLINE: Notre-Dame in Flammen, Rauchschwaden
über Paris – die Bilder waren verheerend. Wie schlimm sind die Schäden
wirklich?

Wolfram Jäger: Der gesamte hölzerne Dachstuhl ist
abgebrannt, ebenso der Spitzturm über der Vierung, also dem Bereich, in dem
Haupt- und Querschiff der Kathedrale sich kreuzen. Er stürzte in das
Hauptschiff hinein und beschädigte dabei das Steingewölbe. Dabei gelangten brennende Teile
ins Kirchenschiff – der Schaden scheint sich dort jedoch in Grenzen zu
halten. Aber bei aller Tragik muss man festhalten: Wir können von Glück reden, dass die
Gesamtstruktur des Gebäudes noch steht. Die Umfassungswände sind stabil und die Strebepfeiler, die die Lasten von den Wänden, dem Gewölbe und dem Dach abfangen, sind wohl weitestgehend intakt. Genau wie der Großteil des Gewölbes und
die meisten der Kreuzrippen. Die Teile der Deckenkonstruktion also, die das Gewicht
auf die Pfeiler verteilen. Man kann es so sagen: In der Decke ist ein großes
Loch entstanden. Aber die Kräfte, die auf Dach, Wänden und Pfeilern lasten,
wirken im Moment so gegeneinander, dass die weiteren Gewölbe im Hauptschiff nicht zusammenbrechen.

Notre-Dame – Wiederaufbau innerhalb von fünf Jahren geplant
Emmanuel Macron richtete ermutigende Worte an die französchen Bürger. Inzwischen lagen Spendenzusagen von mehr als 750 Millionen Euro vor.

© Foto: Yoan Valat/ dpa

Wie sich der Brand in Notre-Dame entwickelte

“Wir können von Glück reden, dass die Gesamtstruktur noch steht”

© ZEIT ONLINE

ZEIT ONLINE: Noch immer fürchten manche, dass die
Mauern nicht standhalten.

Jäger: Fachleute vor Ort müssen nun einschätzen, wo Gefahrenstellen sind. Danach nimmt man Abstützungen vor, sodass keine
weiteren Teile der Gewölbe einstürzen. Damit die Menschen, die am Aufbau
beteiligt sind, nicht gefährdet werden, muss das aus einer sicheren Position
heraus geschehen. Von oben über eine Gerüstbrücke beispielsweise.

ZEIT ONLINE: Und dann beginnt der Wiederaufbau?

Jäger: Man verschafft sich erst einen Überblick, was
für Schäden es gibt und was ergänzt werden muss. Dann zieht man die historische
Dokumentation zu Rate, macht Zeichnungen und beginnt, die beschädigten Teile zu
sanieren und die fehlenden Teile zu ergänzen.

Notre Dame: Wolfram Jäger ist Bauingenieur und Professor für Tragwerksplanung an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Dresden. Gemeinsam mit Fritz Wenzel führte er die Tragwerksplanung für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche aus.

Wolfram Jäger ist Bauingenieur und Professor für Tragwerksplanung an der Fakultät für
Architektur der Technischen Universität Dresden. Gemeinsam mit Fritz
Wenzel führte er die Tragwerksplanung für den Wiederaufbau der Dresdner
Frauenkirche aus.

© Fotoatelier Meißner, Radebeul

ZEIT ONLINE: Die Kathedrale wurde von 1163 bis 1345
gebaut. Bis wann reichen die historischen Quellen über das Bauwerk zurück?

Jäger: Erste Quellen gibt es aus der Zeit zwischen
1225 bis 1250, in der die Turmgeschosse errichtet wurden, und aus den Perioden
danach, in denen weitergebaut wurde. Die Dokumentation ergänzt man mit
Messungen und 3D-Scans, die das ganze Gebäude abbilden. Um eine
zentimetergenaue Abbildung des Hohlraumes und der genauen Geometrie der
Bereiche zu bekommen, die man wiederaufbauen und verbinden muss, scannt man die
Kathedrale mit einem Laserscanner von verschiedenen Positionen aus. Man bekommt dann eine zentimetergenaue Abbildung der Ränder, von denen aus man die Gewölbe wieder schließen wird. So ähnlich ist das beim Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden gemacht worden. Sie
brannte nach dem Bombenangriff auf Dresden erst aus und stürzte dann, zwei Tage später, am 15. Februar 1945 ein.

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