Julian Assange hat diesen Tag kommen sehen, und er hat ihn gefürchtet wie
keinen zweiten. Er habe Angst davor, irgendwann in einem orangefarbenen Overall zu enden wie
die Gefangenen in Guantánamo, erzählte er mit brüchiger Stimme bei einem Abendessen vor ein
paar Jahren in London, damals, als er kurz davor stand, in die ecuadorianische Botschaft zu
fliehen.
Assange, jetzt 47 Jahre alt, ist normalerweise kein Mann, der Ängste zeigt. Wo andere aus- und zurückweichen, tritt er in der Pose des Freiheitskämpfers auf, mit geballter Faust, umweht vom Flair des großen Dramas. Aber zu den USA hatte er von jeher ein besonderes Verhältnis. Amerika ist sein größter Gegner und seine größte Obsession.
Am Donnerstag vergangener Woche nahmen britische Ermittler Assange fest, weil er gegen Haftauflagen in Großbritannien verstoßen hatte und weil die USA seine Auslieferung fordern. Das Ermittlungsverfahren, das die US-Staatsanwälte am Gericht des Eastern District of Virginia gegen ihn führen, verletzt kein Völkerrecht und erzeugt kein Sonderrecht wie in Guantánamo; es folgt, soweit bislang bekannt, rechtsstaatlichen Regeln. Und doch hinterlässt die Trias, mit der vergangene Woche in London Weltpolitik im Stundentakt betrieben wurde, einen schalen Beigeschmack: Aufhebung des Asyls durch die ecuadorianische Regierung, Festnahme durch die britischen Behörden, Auslieferungsantrag der US-Regierung. Ein abgekartetes Spiel? Schlägt das Imperium zurück?
Nach der Festnahme des WikiLeaks-Gründers hat die US-Regierung die Auslieferung des Aktivisten gefordert. Das US-Justizministerium wirft ihm Verschwörung vor.
© Foto: Steffi Loos/AFP/Getty Images
Für Assange, den gleichermaßen egomanischen wie erratischen Strategen, bedeutet die Festnahme und mögliche Auslieferung das Ende eines zehnjährigen Feldzuges gegen die Mächtigen, den er mit der Waffe der Information geführt hat. Für die US-Regierung bedeutet sie das lange ersehnte Rückspiel gegen einen Provokateur, der Washington herausforderte und in einer Mischung aus Hybris und Rebellion die Machtfrage stellte.
Die Bedeutung dieses Prozesses weist weit über das Einzelschicksal des WikiLeaks-Gründers hinaus. Verhandelt wird auch die Frage, wo Journalismus endet und Aktivismus beginnt und ob die Festnahme des Australiers einen Angriff auf die Pressefreiheit darstellt. Viel spricht dafür, dass die US-Regierung ein Exempel statuieren will.
Die bis heute spektakulärsten Enthüllungen von WikiLeaks, um die es in der Anklage geht, publizierte die Whistleblower-Organisation im Jahr 2010 zusammen mit der
New York Times,
dem
Guardian
und dem
Spiegel.
Sie umfassen ein Video, das zeigt, wie Piloten eines US-Kampfhubschraubers in einer Bagdader Straße unschuldige Zivilisten niedermähen; sie umfassen rund eine halbe Million Kriegsberichte des US-Militärs aus Afghanistan und dem Irak; und sie umfassen eine Viertelmillion diplomatische Depeschen des US-Außenministeriums.
Wo aber endet der Aufklärungsauftrag der Medien und wo beginnen Verschwörung, Spionage und der Verrat von Staatsgeheimnissen? In jenem Frühjahr 2010, in dem WikiLeaks mit der Veröffentlichung des markerschütternden Hubschraubervideos die Weltbühne betrat, fand hinter den Kulissen etwas statt, das nun im Zentrum der Anklageschrift steht: Die Soldatin Chelsea Manning (die damals noch Bradley Manning hieß und später eine Geschlechtsumwandlung begann) hatte sich an WikiLeaks gewandt und von den Geheimdokumenten berichtet. Folgt man der sechsseitigen Anklageschrift, dann tauschten sich Assange und Manning in einem Chat darüber aus, wie ein Passwort geknackt werden könnte, mit dem Teile der Dateien geschützt waren. Schließlich lud Manning die Daten hoch und übergab sie WikiLeaks.
Im April 2010 veröffentlichte die Enthüllungsplattform das Hubschraubervideo, im Juli folgten die Afghanistan-Akten, im Oktober die Kriegstagebücher aus dem Irak. Den Höhepunkt bildete die Publikation der diplomatischen Berichte im November 2010. Die US-Regierung war bis auf die Knochen blamiert, die Außenministerin Hillary Clinton monatelang damit beschäftigt, den Schaden zu reparieren. Clinton versprach: “Wir werden aggressive Schritte einleiten, um diejenigen zu Verantwortung zu ziehen, die diese Informationen gestohlen haben.”
Die Drohung, so empfand es Assange, galt vor allem ihm. Er war überzeugt, dass Clinton nicht ruhen würde, bis sie sich an ihm rächen könnte. Bei abendlichen Diskussionen in London redete er über sie wie über eine Todfeindin. Seine Sicht verdichtete sich auf ein “sie” oder “ich”.
Doch anders als von Assange angenommen, hielt sich die Regierung Obama juristisch weitgehend zurück. Zwar leitete die Staatsanwaltschaft in Virginia Ermittlungen ein, doch die Regierung habe sich damals “dagegen entschieden, das Ermittlungsverfahren zu forcieren, weil wir dann auch Medien wie die
New York Times
hätten anprangern müssen”, sagt ein früherer Mitarbeiter des Weißen Hauses im Gespräch mit der
ZEIT.
Ein anderer hochrangiger Obama-Berater mailte Ende der Woche, er könne sich nicht erinnern, “dass wir auf Assanges Auslieferung gedrängt hätten”.
Hits: 13



















