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Marmor: Der Marmor-Bot

Gut fünf Jahrhunderte trennen die beiden Skulpturen, aber Mensch bleibt Mensch, von einer gewissen Form der Pornografie kann er seine Finger nicht lassen. Da ist David, Michelangelos weltberühmte Monumentalstatue der Renaissance, über fünf Meter hoch, knapp sechs Tonnen schwer, zwischen 1501 und 1504 von Hand geschlagen und gemeißelt. Ein split­ternackter Mann, vorbildlich gebaut, inklusive Schambehaarung, großem Hodensack und entblößtem Glied.

Dann ist da, heute, diese Figur. Eine Pornopuppe, wie sie in schmuddeligen Erotikshops zu kaufen ist. Normalerwei­se aus Plastik, aufblasbar. Zwei Brüste, ein weit geöffneter Mund, eine weit geöffnete Vulva. Die beiden Skulpturen mögen kunsthistorisch Welten trennen, und doch vereint sie eine schwerwiegende Tatsache: Beide sind gefertigt aus dem weißen Gold Italiens, dem teuren und edlen Marmor aus den Bergen von Carrara.

Michelangelos David ist heute in der Galleria dell’Acca­ demia in Florenz zu bewundern. Die von einem Künstler entworfene, fast zwei Meter hohe Pornostatue steht in der Werkstatt der Firma Torart, gelegen am Fuße der Marmorbrüche, oben in den wolkenverhangenen Apuanischen Alpen im Nordwesten der Toskana. Irgendwo hier muss schon Michelangelo gestanden und in die Berge gestarrt haben, jeden Brocken, jede Auffaltung penibel musternd. Grau­-weiß melierte Wände erheben sich, senkrecht ragen die Steinbrüche in den Himmel. Gegen Italiens süße Strände, nicht weit entfernt, eine raue und unwirtliche Region, aber nur hier war und ist der Carrara­-Marmor bis heute zu haben.

Die Lust, aus dem schimmernden Karbonatgestein Kunst zu gestalten, ist ungebrochen. Damals wie heute pilgern Bildhauer in die Region, um sich an einem Brocken Marmor zu versuchen. Um daraus Skulpturen, Köpfe und Büsten zu meißeln. Doch während Michelangelo und seine Zeitgenossen jahrelang an ihren Werken saßen, sie mit Scharriereisen und Bossierhammern per Hand in Form brachten, entstehen immer mehr der heutigen Marmorarbeiten im digitalen Eiltempo. Dreidimensional gescannt, auf den Mikrometer genau berechnet und von den Diamantköpfen eines Roboterarms gefräst.


Dieser Artikel stammt aus MERIAN Heft Nr. 06/2017
© MERIAN

Um Zierstatuen herzustellen, Kopien der Klassiker oder marmorne Brunnenfiguren – dafür brauchen Maschinen heute nur Tage, manchmal wenige Stunden. Sogar Michel­angelos David wäre heute womöglich in knapp zwei, drei Wochen fertig. Originalgetreu. Aus exakt dem gleichen Marmor, zu unterscheiden nur noch von Experten.

Filippo Tincolini, 40, und sein Partner Giacomo Massari, 34, waren vor zwölf Jahren die ersten, die IT-Technologie einsetzten, um den Marmor zunehmend schneller zu gestalten. Sie gründeten die Firmen Torart und Robotmill, inzwischen haben sie zehn Angestellte. Programmierer spezialisieren für sie eine Software, die Skulpturen vermisst und dreidimensional neu erschafft. Komplexe Datenpakete füttern schließlich die Rechner, die wiederum die Fräsen steuern.

Vier große Roboter stehen neben den Marmorblöcken, ihre Metallarme surren und drehen sich wie von Geisterhand gesteuert. Ritzen, schaben und schleifen am weißen Stein, bis er schon bald Gestalt annimmt. Bis sich Beine und Arme herausschälen. Ein Gesicht, eine Hand, feinste Konturen. “Gut 95 Prozent erledigen die Roboter”, sagt Tincolini, “nur der Rest ist noch Handarbeit.” Alle seine Mitarbeiter hätten jedoch Kunstgeschichte studiert, seien Steinmetze oder Bildhauer. “Du brauchst das Herz eines Künstlers, daran hat sich nichts geändert.”

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