/Marcus J. Ball: “Ich verklage ihn, aber ich lache immer noch über seine Witze”

Marcus J. Ball: “Ich verklage ihn, aber ich lache immer noch über seine Witze”

Marcus J. Ball ist überzeugt, dass Boris Johnson in der Brexit-Kampagne gelogen hat. Deshalb will er den früheren Außenminister vor Gericht bringen – obwohl er ihn mag.

Marcus J. Ball muss aufpassen, was er
sagt. Einerseits will er, dass möglichst viele Menschen erfahren, woran er seit
fast drei Jahren arbeitet. Andererseits darf er nicht zu viele Details
verraten, um eben diese Arbeit nicht zu gefährden. Marcus, 29, möchte den
ehemaligen britischen Außenminister Boris Johnson vor Gericht bringen.

Vor dem EU-Referendum in Großbritannien
machte Johnson Stimmung für den Brexit. Marcus ist überzeugt, dass er dabei gelogen hat – und er will, dass er
dafür bestraft wird. Eine Privatklage wegen vermeintlichen Fehlverhaltens im
öffentlichen Amt
ist der offizielle Ausdruck für Marcus‘ Projekt. Mehr als zweieinhalb Jahre
lang sammelte er
Beweise und Geld, kontaktierte Anwälte
und Zeugen.
Ende Februar reichte er den Fall beim Westminster Magistrates’ Court ein, jetzt muss ein Richter entscheiden, ob er verfolgt werden soll. In
seinen Tweets und während des Interviews sagt Marcus immer wieder, dass Johnson
so lange unschuldig sei, bis etwas anderes bewiesen wurde.

ZEIT Campus ONLINE: Marcus, was genau wirfst du Boris Johnson vor?

Marcus J. Ball: Wir werfen ihm vor,
die Öffentlichkeit darüber belogen zu haben, wie ihre Steuergelder verwendet
werden. Das bekannteste Beispiel ist das von dem roten Bus: “Wir schicken der
EU 350 Millionen Pfund pro Woche, lasst uns stattdessen unseren NHS
(staatlicher Gesundheitsdienst, Anm. d. Red.) finanzieren”, stand da. Das ist falsch. Wir “schicken”
der EU nicht jede Woche diese Menge an Geld. Herr Johnson hat während der Brexit-Kampagne
mehrere solcher Behauptungen gemacht, die sich auch gegenseitig widersprechen.

ZEIT Campus ONLINE: Glaubst du, dass
die Menschen anders abgestimmt hätten, wenn es die 350-Millionen-Pfund-Lüge
nicht gegeben hätte?

Marcus: Ich denke ja, das hätten
sie. Aber eigentlich ist egal, was ich denke. Der Kampagnenleiter von Vote Leave, Dominic Cummings, hat selbst
klargemacht, dass sie nicht gewonnen hätten, wenn es diese Behauptung nicht
gegeben hätte
. Ich denke aber auch, dass die
Menschen anders abgestimmt hätten, wenn die Regierung kein öffentliches Geld
für Remain-Kampagnenmaterial ausgegeben hätte. Das gesamte Referendum kann
wegen der Menge an Lug und Betrug auf beiden Seiten nicht komplett ernst
genommen werden.

ZEIT Campus ONLINE: Wie meinst du
das?

Marcus:David Cameron, der damalige
Premierminister, versprach ein freies und faires Referendum. Doch dann
beschloss er, 9,3
Millionen Pfund für ein Remain-Flugblatt auszugeben
. Das war viel mehr Geld, als die Leave-Kampagne offiziell ausgeben durfte. Auf der anderen Seite basierte die Leave-Kampagne weitgehend auf
unehrlichen Aussagen, insbesondere eben der Behauptung, wir würden 350 Millionen Pfund pro Woche für die
EU ausgeben
.

 ZEIT Campus ONLINE: Die Brexit-Kampagne ist lange vorbei. Warum beschäftigst du dich
immer noch damit?

Marcus: Großbritannien versucht gerade, Entscheidungen über den Brexit auf
einer Grundlage von Lügen und Betrug zu treffen. Keine Organisation – egal, ob es sich um ein kleines Unternehmen,
ein großes Unternehmen oder ein Land handelt – kann jemals hoffen, auf dieser
Grundlage gute Entscheidungen zu treffen. Dieses Lügen und Betrügen hat Großbritannien gespalten, es hat jeden völlig
verwirrt, niemand weiß, wem man vertrauen kann. Das Unterhaus ist ein perfektes
Abbild des ganzen Landes. Es ist ein riesiges Durcheinander. Deshalb mache ich
meine Arbeit. Der einzige Weg, um die Ordnung im Land wiederherzustellen, ist,
wenn wir es einem Politiker verbieten können, das Vertrauen der Öffentlichkeit
durch Lügen zu missbrauchen.

Großbritannien versucht gerade, Entscheidungen über den Brexit auf einer Grundlage von Lügen und Betrug zu treffen.

Marcus J. Ball

ZEIT Campus ONLINE: Du sagtest, dass
auf beiden Seiten gelogen wurde, bei der Remain– und der Leave-Kampagne. Warum hast
du Boris Johnson ausgewählt?

Marcus: Wir haben über viele
verschiedene Personen von beiden Seiten der Debatte recherchiert und uns dann
aus mehreren Gründen für Herrn Johnson entschieden. Zuallererst stützen wir unsere
Klage ja auf ein Vergehen namens Fehlverhalten im öffentlichen Amt. Boris Johnson hatte während der Referendumskampagne zwei sehr hohe öffentliche Ämter gleichzeitig
inne: Er war sowohl Bürgermeister von London als auch Parlamentsabgeordneter. Das bedeutet, dass er viel öffentliches Vertrauen übertragen
bekommen hatte. Der zweite und wichtigste Grund, warum wir uns für Herrn
Johnson entschieden haben, ist, dass es gegen ihn mehr Beweise gibt als gegen
irgendjemand anderen, zumindest soweit wir das sehen können.

ZEIT Campus ONLINE: Wie kommt das?

Marcus: Herr
Johnson war ein unglaublich effektiver Wahlkämpfer für die Leave-Seite, weil er
bei Kameras und Journalisten so beliebt war. Das war großartig für ihn und sein
Anliegen – aber es bedeutet auch, dass wir in den Videoarchiven viele Beweise
haben, die wir für unseren Fall verwenden können. Ein großer Teil meiner Arbeit
bestand darin, das gesamte Bildmaterial vom Referendum durchzugehen und alles aufzuschreiben,
was er gesagt hat.

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