Bei den meisten Menschen endet die musikalische Geschmacksbildung mit dem Abschlusszeugnis. Ob das ein Schul- oder eine Uniabschluss ist, scheint egal zu sein. Anders lässt sich jedenfalls die Masse an Radiostationen nicht erklären, die ständig „Das Beste“ der 80er, 90er oder Nullerjahre spielen.
An den Songs, die man in Teenie- oder Twen-Zeiten gehört hat, hängen Erinnerungen – die die Nutzer dieser Retro-Dudelwellen nicht hinter sich lassen wollen. Und die dazu führen, dass immer mehr Bands, die ihren Zenit überschritten haben, noch jahrzehntelang mit Liveauftritten Geld verdienen können, wenn sie den Fans die ollen Kamellen bieten, die ihnen lieb und teuer sind.
Um die Spezies der sentimental-nostalgischen Weißt-Du-Noch-Damals-Hörer geht es auch in dem Musical „The Band“, das im Herbst 2017 in Großbritannien seine Uraufführung erlebte und nun den Sprung aufs europäische Festland geschafft hat. Was an die Karriere der Boyband Take That erinnert, die ihren ersten Auftritt jenseits der Insel ebenfalls in Deutschland hatte. Das war Anfang der Neunzigerjahre.
In dieser Zeit spielt auch die Show, deren Soundtrack sich aus den Hits von Take That speist – ohne dass der Name der Band auch nur einmal genannt wird.
Lange schien es ja, als hätte die Stage Entertainment, die in Deutschland neun Musicalhäuser betreibt, den Standort Berlin abgeschrieben. Wegen mangelnder wirtschaftlicher Rentabilität wurde vor zweieinhalb Jahren der Spielbetrieb im Theater am Potsdamer Platz eingestellt, und das Theater des Westens degenerierte zum Abwurfplatz für die Repertoire-Restposten des holländischen Unterhaltungskonzerns. Sicher gibt es Menschen, die auch noch den fünften Aufguss von „Tanz der Vampire“ sehen wollen, doch die Hoffnung, dass in dem Jugendstil-Prunkbau am Bahnhof Zoo auch mal wieder etwas Innovatives gezeigt wird, wurde immer wieder enttäuscht.
Die deutsche Erstaufführung des Überraschungserfolgs
Eine Eigenproduktion ist es nun nicht geworden, aber immerhin die deutsche Erstaufführung eines britischen Überraschungserfolgs. „The Band“ kam als Tourneeproduktion in Manchester heraus, und tingelte anschließend nach Sheffield, Bradford und Southampton weiter. Stoke-on-Trent, Norwich, Canterbury und Hull folgten – und weil die Tickets sich überall bestens verkauften, wagten die Macher im Dezember dann sogar einen Vier-Wochen-Stop im Londoner Westend. Passend zum 30-jährigen Gründungsjubiläum von Take That geht die Neunzigerparty nun in Berlin weiter, offensiv promotet von Gary Barlow, Howard Donald und Mark Owen, der verbliebenen Rest-Band. Den ewigen Boys ist bestimmt jedes Pfund recht, das ihr Nachruhm noch abwirft.
Wobei die Doubles der Sänger-Tänzer-Gutausseher gar nicht im Mittelpunkt von „The Band“ stehen. Was die Show zu einer interessanten Mischform zwischen den Jukebox-Musicals à la „Mamma mia“ und den Biograficals à la „Evita“ macht. Fünf Teenager aus einer nordenglischen Arbeiterstadt bilden das leading team von „The Band“: Sie sind 16 und wegen ihrer Schwärmerei für Take That unzertrennlich. Dann aber kommt eines der Mädchen bei einem Autounfall ums Leben. Die Clique zerbricht, jede geht ihrer Wege. Erst ein Vierteljahrhundert später nehmen sie wieder Kontakt zueinander auf, reisen gemeinsam zur Reunion ihrer „Jungs“ nach Prag. Um festzustellen, dass sich ihr Leben ganz anders entwickelt hat als einst erträumt.
Das echte Leben rückt in den Mittelpunkt
Zu Beginn des Abends sind die Take-That-Wiedergänger allgegenwärtig. Sie springen effektvoll aus den Möbeln des Kinderzimmers oder auch aus den Spinden in der Schule. Doch sie bleiben Projektionsfläche, es kommt zu keiner Begegnung der Mädchen mit den Objekten ihrer Begierde. Die erwachsenen Frauen verpassen in Tschechien dann sogar das Konzert, das Anlass für ihr Wiedersehen war.
Ab diesem Moment sind die „Jungs“ nur noch Backgroundsänger. Weil das echte Leben in den Mittelpunkt rückt, weil die vier verbliebenen Freundinnen entdecken, dass es in ihrer Beziehung zueinander gar nicht mehr um Musik geht, sondern ums Zwischenmenschliche. Der Kitt ihrer Teenagerfreundschaft ist zerbröckelt, nun entdecken sie ihre unter Schmerzen gereiften Persönlichkeiten.
„The Band“ ist pointensicheres Boulevardtheater mit Musik, die gute Ausstattung bietet und überraschende Lösungen für die vielen Szenenwechsel. Die deutsche Dialogfassung von Ruth Deny schnurrt peinlichkeitsfrei ab. Eine sechsköpfige Band spielt live zu den auf Englisch gesungenen Hits, die Choreografien sitzen, die Mädchen und Frauen haben Power, die Boys kommen angemessen süß rüber. Take That are back for good.
Theater des Westens, bis 22. September, Infos: www.musicals.de
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