Wenn es nach Friedrich Merz geht, könnte er jetzt langsam mal anfangen. Doch die Schützenkapelle „Peter und Paul“ spielt unverdrossen weiter ihre Begrüßungsmusik. Merz muss sich gedulden am Rednerpult. Er lächelt, guckt ernst, lächelt. Aber plötzlich spiegelt sich in seiner Miene eine ganz sonderbare Gefühlsmixtur: Wehmut ist dabei, leichte Säure, etwas Verträumtes …
Hinten in der Schützenhalle von Eslohe hält ein Mann ein selbst gemaltes Plakat hoch. „Kanzler Merz“ steht da in dicken Filzstiftbuchstaben. Der Mann auf der Tribüne lächelt verlegen zurück. Is ja nett gemeint. Aber Kanzler wird er nicht mehr, und was sonst, das liegt in den Händen der Frau, die an diesem Freitagabend das Hauptprogramm bestreitet. Bei Annegret Kramp-Karrenbauers erstem Europawahltermin ist Friedrich Merz nur Vorredner.
Dass die Schützenhalle mit ihren fast 1000 Plätzen proppenvoll ist und überall Fernsehkameras herumstehen, hat aber natürlich mit ihm zu tun, respektive: mit ihr und ihm. Man hat die beiden schließlich seit dem 7. Dezember nicht mehr nebeneinander gesehen, damals, als eine strahlende neue CDU-Chefin in einer Hamburger Messehalle die zwei unterlegenen Bewerber noch einmal zu sich auf die Parteitagstribüne holte.
Jens Spahn lachte die lange erwartete Niederlage einfach weg. Merz schaute bedröppelt. Angebote für eine herausgehobene Position schlug er aus. In den nächsten Tagen zog er sich ganz ins Schneckenhaus zurück: Nein, keine Parteifunktion, keine Wahlkampfauftritte, nur eine Art persönliche Beraterfunktion für die Vorsitzende war er bereit zu übernehmen. Die wütenden Rufe seiner Fans nach Kompensation für den Beinahe-Sieger verhallten. Die neue Vorsitzende widmete den Merz-Truppen ihre ersten Antrittsbesuche. Die zeigten sich angetan. Die Rufe verstummten. Der Fall Merz schien erledigt.
Aber die beiden hielten Kontakt. Kramp-Karrenbauer hatte den Konkurrenten in den sechs Wochen ihrer gemeinsamen Bewerbungstournee in seiner enormen Wirkung auf seine Anhänger einschätzen, aber auch schätzen gelernt. Umgekehrt fand sich der Sauerländer verstanden. Außerdem hatte ihn die Tour einfach angefixt: die vollen Säle, die Fanpost, der Applaus, das ganze Rampenlicht.
Kramp-Karrenbauer will den Flügeln mehr Raum geben
„Der Friedrich Merz hat wieder richtig Lust auf Politik bekommen“, erzählte schon wenig später einer, der ihn gut kennt. Schon damals fiel, noch vage, das Stichwort „Ministeramt“. Als Merz dann zum ersten Mal öffentlich verkündete, dass er sich einen Job in der Regierung ganz gut vorstellen könne, ging die Sache ein bisschen schief. Es klang nämlich nach einer aktuellen Bewerbung. Kramp-Karrenbauer spottete prompt, Angela Merkels Ministerrunde sei beim letzten Nachzählen vollzählig gewesen.
Merz stellte dann beizeiten klar, dass seine Minister-Ambitionen für die Zeit nach Merkel gelten. Das kommentierte Kramp-Karrenbauer nicht. Wenn man alles zusammen nimmt, was der eine oder andere zu wissen behauptet oder gehört haben will, dann fand sie den Gedanken aber keineswegs abwegig. Die Saarländerin will den Flügeln in der CDU Raum geben, um die Partei insgesamt zu stärken. Der Wirtschaftsflügel hat sonst keine starke Figur. Auch den Konservativen fehlen vorzeigbare Repräsentanten. Warum also nicht der Friedrich?
Merz hat der Vorsitzenden etwas zu bieten
Recht gut verbürgt ist jedenfalls, dass beide über das Minister-Thema geredet haben. Wahrscheinlich, mutmaßt einer, der mit solchen Dingen einige Erfahrung hat, hat er angedeutet, dass er sich selbst gut in ihrem zukünftigen Kabinett vorstellen könnte, und sie hat geantwortet, dass sie das eine gute Idee finde. An eine konkretere Zusage, ergänzt der Erfahrene, glaube er nicht. Ist ja auch schwer zu sagen, ob, wann und unter welchen Umständen Kramp-Karrenbauer ans Regieren kommt – und welcher Koalitionspartner welche Ministerien beansprucht. Horst Seehofer zum Beispiel wollte ja auch nicht Innenminister werden.
Worin Merz Gegenleistung an die Vorsitzende besteht, ist dagegen am Freitag gut zu besichtigen. Erst sind die zwei in Iserlohn bei einer Veranstaltung des Wirtschaftsrats. Merz ist neuerdings dessen stellvertretender Vorsitzender. Der Verein ist formell unabhängig von der Partei. Aber seine Veranstaltungen kann er natürlich rein zufällig zu Wahlkampfzeiten terminieren. Und aus dieser Halbdistanz kann Merz jetzt irgendwie doch mitkämpfen.
„Dass es auch anders hätte ausgehen können“
Dass er nach dem immer noch rätselhaften Einbruch bei seiner Hamburger Bewerbungsrede zu alter Rednerform zurückgefunden hat, kann die Parteichefin nur freuen. In Eslohe jubelt der Saal jedenfalls ein ums andere Mal, als die Musikanten endlich fertig sind und er zu Wort kommt. Er hat allerdings auch ein Heimspiel. Merz wohnt acht Bergrücken weiter in Arnsberg, das Hochsauerland war früher sein Wahlkreis.
Aber als Erstes bedankt er sich noch einmal für den fairen Wettlauf um den Vorsitz. „Ich hätt’ mir vorstellen können, dass es auch anders hätte ausgehen können“, sagt er. Doch damit das jetzt noch einmal ganz klar sei: „Ich möchte, dass Annegret Kramp-Karrenbauer als unsere Vorsitzende erfolgreich ist, und dazu kann und werde ich beitragen!“
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