Um das Eigentum kreiste jedes Denken, das wissen will, welche Gesellschaft
wünschenswert sei. Nur in der Gegenwart scheint die Frage vergessen. Als rühre man lieber
nicht dran: Wer die Eigentumsfrage stellt, so die Befürchtung, der ist in Wahrheit auf
Enteignung aus – wie jene, die heute den großstädtischen Wohnungsmarkt für alle zugänglich
machen wollen, indem die größten Wohnungsgesellschaften enteignet werden. Die Eigentumsfrage
zielt jedoch, seitdem der britische Arzt und Philosoph John Locke sie um 1680 im modernen
Sinne zuerst stellte, im Gegenteil darauf, nicht nur den Grenzen des Eigentums gerecht zu
werden, sondern vor allem seinem Freiheitsversprechen, seiner politischen Gestaltungskraft und
integrierenden Macht. In den jüngsten Konflikten um das Eigentum an Energienetzwerken oder
Urheberrechten, an persönlichen Daten oder natürlichen Ressourcen kehrt die alte Frage nun
zurück.
Wozu dient Eigentum? Seine wohl wichtigste Funktion ist die Allokation, das heißt die Aufgabe, Güter wie etwa Grund und Boden in arbeitsteiligen Gesellschaften zu verteilen, in denen Knappheit an Ressourcen herrscht. Dies geschieht durch rechtliche Zuordnungen: Diese Sache gehört ihr, jene Sache uns, andere Sachen wiederum ihnen und so fort. Gleich mehrere Vorteile entstehen, wenn solche Zuordnungen verrechtlicht werden, das heißt, wenn man sie in staatlich garantierten Institutionen als Eigentumsrechte auffasst, die eine Klagebefugnis und die Chance zwangsbewehrter Durchsetzung umfassen. Sie tragen dazu bei, dass Konflikte um knappe Güter befriedet werden. Denn das eigene Hab und Gut muss nicht mehr mit dem Schwert verteidigt werden, sondern genießt garantierten Schutz. Eigentumsrechte entlasten zudem von einem kostspieligen, konflikthaften und zeitintensiven Prozess des Aushandelns, in dem unentwegt neu entschieden werden müsste, wer was wann nutzen darf. Weil Eigentumsrechte solche Zuordnungen dauerhaft knüpfen und erkennbar machen, muss nicht stets ein neuer Konsens darüber gesucht werden. Durch den Eigentumsschutz wird schließlich Erwartbarkeit hergestellt, und damit werden Konsum, Produktion, Investitionen, Verwertungsansprüche und Besitzübertragungen mit abgesichert.
Sieht man in dieser Weise, wozu Eigentum dient, so lässt sich aber auch erkennen, dass Eigentum in modernen Gesellschaften zwar unverzichtbar, doch kein Selbstzweck ist. Denn gäbe es keine Konflikte um knappe Ressourcen und herrschte nicht Arbeitsteilung, bedürfte es keiner Verteilung der Güter und auch keines Eigentums. Eigentumslose Gesellschaften sind deshalb vorstellbar. Realisierbar hingegen sind sie nur unter der Voraussetzung, dass alle haben, was sie brauchen, und niemand mehr will, als er hat. Solange dieser Zustand Utopie bleibt, ist das Eigentum eine Errungenschaft, die nicht leichtsinnig in den Wind geschlagen werden sollte. Bestehende Gesellschaften, ob es um China geht oder um Inuitdörfer, sind zwangsläufig Eigentumsgesellschaften, in denen die Nutzung, Verwertung und Übertragung von Gütern über Eigentumsrechte geregelt wird – wenngleich oft im Konflikt zwischen überbrachten und neueren Eigentumsformen, etwa zwischen gewohnheitsrechtlicher Nutzung von Saatgut und jungen Patentrechten.
Doch Eigentum darf nicht für künstliche Verknappungen instrumentalisiert werden, wie es auf dem Wohnungsmarkt geschieht. Da Eigentumsrechte nur unter der Voraussetzung der Knappheit gerechtfertigt sind, büßen sie ihre Rechtfertigung ein, wenn Güter etwa durch Kartelle künstlich verknappt werden. So teilen Google, Facebook, Amazon, Microsoft und Apple größtenteils das weltweite Eigentum an Daten unter sich auf. Auch das unbeschränkte Vererben von Reichtum oder die missbräuchliche Nutzung geistigen Eigentums bedeuten eine solche Verknappung.
Die unverwechselbare Besonderheit des Eigentums aber ist, dass mit ihm Freiheit verwirklicht wird. Eigentum ist vor allem – so hat es folgenreich am Ende des 17. Jahrhunderts John Locke gegen die absolutistische Herrschaft und den Feudalismus geltend gemacht – ein Freiheitsrecht aller Bürger. Die moderne Eigentumsfreiheit leitet sich aus der Güterallokation her. Denn Güter werden verteilt, indem Eigentümer (der indische Kleinbauer wie die Berliner Verkehrsbetriebe oder eine mittelständische Konditorin in Erfurt) ihre Freiheit ausüben, selbst über die Nutzung, Verwertung und Übertragung ihrer Güter zu bestimmen. Die Eigentümer können hier Individuen, Gemeinschaften oder die öffentliche Hand sein. Als Freiheitsrecht ist Eigentum zugleich ein Exklusionsrecht, weil es erlaubt, andere von dieser Entscheidung auszuschließen. Formal betrachtet beschränkt sich dieses Recht zunächst auf einen “neutralen” Eigentumsschutz: Ebenso wie Privateigentum gegenüber kollektiven Interessen kann kollektives Eigentum vor Privatinteressen geschützt werden.
Die Freiheit des Eigentums bildet nun den Knotenpunkt, in dem sich Nutzen und Anspruch verbinden. Denn Freiheit ist auch ein schützenswerter Anspruch von Personen. Er wird konkret zum Beispiel als Recht auf materielle Selbstbestimmung und Selbstversorgung: Diese ermächtigt dazu, einen Lebensunterhalt frei von dirigistischen Zuteilungen durch einen bevormundenden Versorger zu bestreiten, der den Seinen gibt, was sie brauchen. Damit können Menschen frei von Angst vor Sanktionen einen Willen ausbilden und öffentlich vertreten. Materielle Selbstbestimmung wird durch das universelle Recht auf Eigentum garantiert. Eigentum sorgt dafür, dass Personen sich unabhängig von sozialer Stellung, Herkunft, Geschlecht, Ansehen und Gesinnung mit lebensrelevanten Gütern versorgen können.
Der britische Ökonom Tony Atkinson hat aus diesem Grund vor ein paar Jahren gefordert, dass jeder Bürger gerechtigkeitshalber vom Staat mit Eigentum ausgestattet werden müsse. Aber auch dass die rechtspopulistische Lega in Italien nun ihren Anhängern zur Geburt des dritten Kindes ein Stück Ackerboden in Aussicht stellt, hat in diesem Freiheitsversprechen einen Grund.
Häufig beschränken sich die Vorstellungen allerdings darauf, Eigentum als ein Recht auf materielle Selbstbestimmung zu verstehen. Ein solches Verständnis erzeugt jedoch mehr Konflikte, als dass es sie löst. Denn scheinbar darf somit alles, was der materiellen Selbstbestimmung dient, in Eigentum überführt und, wie es in Paragraf 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs heißt, “nach Belieben” genutzt, verbraucht und gehandelt werden. Um die hieraus entstehenden Konflikte zu vermeiden, bedarf es Normen, die eine solche Macht einhegen. Recht verstanden, meine ich, liegen solche normativen Ordnungen jedoch schon in der Eigentumsidee selbst begründet. Es müssen keine moralischen Pflichten zusätzlich in Anschlag gebracht werden, die an das Eigentum von außen herangetragen werden. Die Freiheit des Eigentums erschöpft sich nicht darin, über Güter nach Belieben zu verfügen. Die Freiheitsgründe, die Eigentum überhaupt rechtfertigen, sind die gleichen, die eine Einhegung dieser Beliebigkeit begründen.
Angesichts von Klimawandel und Ressourcenbegrenztheit stehen Eigentumsgesellschaften insbesondere vor der historisch jungen Herausforderung, Eigentum mit Nachhaltigkeit zu versöhnen. Es widerspricht einer tiefen Intuition, dass die Natur mit ihren Gütern des Bodens, des Wassers, der Artenvielfalt, der Luft im gleichen Sinne nach Belieben ge- und verbraucht werden darf wie andere Sachen. Um diese Intuition in gesicherte Erkenntnis zu übersetzen muss jedoch die Eigentumsidee nicht verabschiedet werden. Denn auch Nachhaltigkeit erklärt sich aus der Idee freiheitlichen Eigentums selbst. Der Anspruch, mit fossilen Energieträgern, einzigartigen Landschaften oder Fischbeständen nachhaltig zu wirtschaften, wohnt der Eigentumsidee selbst inne.
Ein Lösungsansatz liegt im Gedanken und in der Wirklichkeit der Wertschöpfung: Wer etwa die Sonne durch eine eigene Solaranlage in Heizwärme verwandelt und so einen Wert schafft, dem gehört auch das Recht, die Wärme zu nutzen. Das hieße allgemein gesagt, dass die materielle Selbstbestimmung ein Recht auf das Eigentum an den Erträgen einer Wertschöpfung begründet. Wer einen Beitrag zur Wertschöpfung leistet, der sollte auch ein Recht auf das Eigentum an dem entsprechenden Wert besitzen; und zwar, weil dieses Recht eine Versorgung mit lebensrelevanten Gütern erlaubt und somit Freiheit auf einer materiellen Ebene verwirklicht. Leisten mehrere Personen einen Beitrag zur Wertschöpfung, so gehört jeder Person entsprechend ihrem Beitrag ein Teil der Erträge.
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